In die Ferne träumen (6)

Der Kreis schließt sich, und wir kommen noch einmal nach Hawaii (s. In die Ferne träumen (1)). Diesmal reisen wir in Begleitung des weltberühmten Mark Twain, der von März bis November 1866 seine „Post aus Hawaii“ schickte. Die Originaltexte erschienen in der Zeitung „Daily Union“ in Sacramento, Kalifornien. Aktuell und in deutscher Übersetzung wird das Werk von Dumont verlegt (März 2015). „Mark Twains Reisebriefe (…) dienen heute als Fenster in ein anderes Land, eine andere Zeit, und ein kurzer Blick hindurch macht uns bewusst, wie viel wir verloren haben und wie viel es immer noch zu entdecken gibt.“, stellt Alexander Pechmann in seinem Nachwort der Dumont-Ausgabe äußerst treffend fest. Sehen wir nun, was uns der Meister der Reiseberichterstattung zu erzählen hat:

„Abends schwirren hier jede Menge Moskitos umher. Sie sind ziemlich lästig. Doch ist es für mich überaus befriedigend zu wissen, dass die zwei Millionen, auf denen ich mich vor einer Minute niederließ, niemals wieder summen werden.“, bemerkt Twain sarkastisch an seinem ersten Abend im Hafen von Honolulu. Neben abgebrühter Ironie und lebhaftem Humor ist für Twain auch seine Ehrlichkeit bezeichnend: „Ich bin schon seit ein oder zwei Tagen hier, aber weil ich noch nicht genug über Land und Leute weiß, um überzeugend darüber schreiben zu können, kehre ich (mit meinem Bericht) zurück aufs Meer.“ Also schreibt er zunächst recht ausführlich, sehr informativ und unterhaltsam über seine Überfahrt per Dampfer Ajax von San Francisco nach Honolulu. Auch wenn Twains Schreibstil keiner Auffrischung bedarf, so peppt er seinen Report mit Hilfe des fiktiven Mr. Brown auf. Dieser ist Twains treuer, aber auch bisweilen nerviger Reisebegleiter, über den der Autor oft bissige Worte verliert – zum Amüsement eines schadenfrohen Lesers: Während z.B. auf der Hinreise einige Passagiere „von Whiskey erfüllt“ waren, juxt er: „Alle außer Brown. Brown hatte ein paar Erdnüsse zu Mittag gegessen, weswegen man ihm schlecht nachsagen kann, er sei lediglich von Whiskey erfüllt gewesen (…).“

Dann erfährt Twain mit jedem Tag mehr über Land und Leute und kann im Folgenden überzeugend darüber schreiben: „Wenn man in Honolulu mit einem Fremden ins Gespräch kommt und den natürlichen Wunsch verspürt, herauszufinden, (…) welche Art von Mensch der andere ist, dann spricht man ihn am besten zunächst mit ‚Kapitän‘ an. Man beobachte ihn genau, und wenn man an seinem Gesichtsausdruck erkennt, dass man auf der falschen Spur ist, frage man ihn, wo er predigt. (…) Ich habe inzwischen die Bekanntschaft von zweiundsiebzig Kapitänen und sechsundneunzig Missionaren gemacht.“ Gespickt mit zahlreichen Anekdoten berichtet Mark Twain über Geschichte, Kultur und Sitten der Ureinwohner. Er erzählt von den ausländischen Einwohnern und deren Gepflogenheiten. Scharfsinnig nimmt er gleichermaßen Besonderheiten und Alltäglichkeiten auf, um daraus ein buntes, lebhaftes Bild der hawaiianischen Inseln und ihrer Bewohner zu malen: „Nach dem Trommeln kam der berühmte Hula-Hula, von dem wir so viel gehört hatten und den wir so sehnlichst zu sehen wünschten (…). Rund dreißig üppige Eingeborenenfrauen in dem fröhlichen weißen und rosafarbenen Gewand (…), mit Blätter- und Blütengirlanden um die Stirn, bildeten Reihen zu fünft oder zu sechst, schüttelten die gerefften Röcke aus, schnallten die Gürtel enger und begannen mit einem Gejaule, das nicht von dieser Welt zu stammen schien. Der Lärm hatte jedoch einen bestimmten, regelmäßigen Takt, dem die Körperbewegungen genau entsprachen.“ Später unternimmt er gemeinsam mit Brown einen Ausflug auf die Hauptinsel Hawaii (heute Big Island): „Wir gingen bei Kailua an Land, einer kleinen Ansammlung von Grashütten, die unter hohen Kokospalmen schlummerten – es war der schläfrigste, stillste, sonntäglichste Ort, den man sich vorstellen kann. Ihr Lebensmüden, die ihr der Arbeit und Sorgen und der verderblichen Unrast der großen weiten Welt überdrüssig seid und euch nach einem Land sehnt, wo ihr eure matten Hände falten und euer Leben friedlich verschlafen könnt, packt eure Reisetaschen und eilt nach Kailua!“

Ob es ausgerechnet in Kailua noch heute so verschlafen zugeht, weiß ich nicht. Aber sogar nach über 150 Jahren sind die in den Pazifik gestreuten hawaiianischen Inseln ein Ort, an dem sich die ausgelaugte Seele laben und der schlappe Körper Erholung finden kann. Mahalo Hawaii!

Zum Abschluss unserer Traumreisen geht es einmal rund um den Globus. Jakob Horvat erzählt, wie er der „Welt nah“ kam …

Franziska Lachnit (2020)

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