Knapp an der Katastrophe vorbei

ERINNERUNG: Vor fünf Jahren begann das Weinbergdrama.

Damals wurde es richtig eng. Der Rhöndorfer Weinbau stand komplett auf der Kippe. Das ist jetzt bereits fünf Jahr her. Viele halfen, suchten eine Lösung. Eigentlich eine kleine Sensation, dass es geklappt hat. Dass uns heute wieder normal erscheint, was keine Perspektive mehr zu haben schien. 

Im April 2013 kam ein Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Wanderwege am Drachenfels weitgehend unsicher seien. Weil sie im Weinberg lagen – und der sei steinschlaggefährdet. Tatsächlich war 2011 ein großer Brocken heruntergefallen; die Abgänge zuvor waren 2005 und in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts. So geht es dort mindestens seit den Steinbrüchen der Römer. Die Menschen wissen das; bisher konnten sie vermeiden, dass ihnen Felsen auf den Kopf fielen. Zumal die Gefahr ja deutlich kleiner ist als auf vielen Bergstraßen. Die Bäume im Schmelztal stellen vermutlich ein höheres Risiko dar.

Also reichte der Rhöndorfer Bürgerverein im Mai eine Petition ein, die um mehr Augenmaß bat. Ziel war die Wiedereröffnung der gesperrten Wanderwege. Das Ansinnen war verständlich, auch wenn es die Dinge erst richtig ins Rollen brachte. Bürokratie ist eben ein loseres Geröll als das am Siegfriedfelsen. Jedenfalls sagt die Legende, dass die Motivation des Regierungspräsidiums zur Rechtfertigung im Düsseldorfer Ausschuss wenig ausgeprägt war. Also holte man dort die große Keule heraus und setzte den Arbeitsschutz in Marsch. Der tauchte in Gestalt zweier Beamter Ende Juli im Wingert auf und untersagte den Winzern, Arbeiter ins Gelände zu schicken. Sie kamen an einem Freitag so spät, dass Gerichte und das deutsche Rechtswesen schon im Wochenende waren und damit Information oder gar Gegenwehr unmöglich. Soviel zum Thema „Fingerspitzengefühl“.

Hier hätte die Geschichte zu Ende sein können Kein Ärger in der Amtsstube, aller Frust dem Bürger. Gehorsam lehrt leiden. – Rheinländer sind aber nur bedingt diszipliniert. Sie verboten sich das Nachdenken nicht. Auch nicht die kritisch Sicht. Aus unterschiedlichsten Perspektiven fanden die Winzerfamilien Unterstützung. Pragmatiker sowie Freunde wollten schlicht helfen. Anderen Vernünftigen ging es gegen den Strich, die Trauben eines ganzen Jahrgangs zu vergeuden. Das Winzercorps sah seine spezifische Berechtigung zum Ehrenamt gefährdet, der Tourismus seine Gäste, die Rhöndorfer fast alles für ihren Ort Charakteristische. Eine nach der anderen fanden auch die Parteien den Weg der Tugend. Bald sah sich selbst die zunächst zögerliche Verwaltung  in Zugzwang. Und machte mit. Was Alle einte: Bad Honnef und Königswinter ohne Weinbau, ohne das bekannte Profil des rebenbewachsenen Drachenfels scheint nicht wirklich vorstellbar, nicht mehr Dasselbe. Die Identität wäre weg.

Seltsame Dinge taten sich. Norbert Blüm in Strumpfhosen mit Filzkäppi als Robin Hood des Weins im Express. Ein palavernder Wolfgang Clement mit der Ankündigung, seinen Einfluss bei jener regierenden SPD geltend zu machen, die ihn nach seinem Austritt innig hasste. Polizeiautos, die Heinzelmännchen suchten und einen Bürgermeister, der jenen half. Am Ende einer Demonstration aller Rhöndorfer zwölf besondere Widerständler auf die Bühne; darunter zehn CDU-Leute. Gleichzeitig Politiker, die rieten, das Land NRW zu verklagen. Jenes Land, das von Anfang an den Winzern half. Dessen Minister Johannes Remmel und dessen Staatsekretär Horst Becker jeden Schritt zur Rettung des hiesigen Weinbaus begleiteten und die meisten Bausteine zu einer Lösung aktiv lieferten.

Jedenfalls bauten diese Unterstützer an der Seite der Bürgerinnen und Bürger jenen Druck auf, der letztendlich zur Lösung führte: Das Land, der Kreis, die beiden Städte und der VVS zahlten den Schutzzaun, der die Weiterarbeit im Weinberg ermöglicht. 612 Meter lang, 4 bis 5 Meter hoch, mehr als eine Million Euro teuer. Der Stellvertretende Regierungspräsident Wilhelm Steitz, der Umweltdezernent des Kreises Christoph Schwarz, VVS und alte wie neuer Bürgermeister/in Bad Honnefs wickelten sauber ab, der Geologe Johannes Feuerbach leistete gute Arbeit. Im Juli 2013 wurde die Arbeit verboten, im August entstand die Idee des Zauns. Gerade 15 Monate dauerte es von der Vision über Planung, Genehmigung, Finanzierung, Fertigstellung bis zur Einweihung des Bauwerks im November 2014. Beispielhaft und einzigartig. – Bei Unterschreitung des vorgegebenen Budgets.

Heute wiehert ab und an wieder der Amtsschimmel, wenn er beim Winzer die Säuberung des Zauns anmahnt. Jenes Zauns, der sich doch begrünen und mit der Umgebung verschmelzen soll. Verlangt von jenem Winzer, der bis heute keinen versprochenen Ausgleich für den geopferten Teil seiner besten Steillagen erhielt. Der immer noch auf das kleine verwilderte Dreieck unterhalb des Ulanen-Denkmals zur Nutzung wartet. Dafür hat das Land nun den Drachenfels als sein einziges Weinbaugebiet entdeckt, schenkt dessen Produkte in Düsseldorf, Berlin und Brüssel aus. Auch in Aachen, als Bundespräsident Steinmeier dort zu Besuch war. Oder in der Drachenburg. Wichtige Hausaufgaben warten bei den Wanderwegen, wo die Interessen der letzten Ammern in NRW mit denen der erholungssuchenden Menschen in Einklang zu bringen sind.

Manchmal feiern die Protagonisten noch, treffen sich im Jesuiterhof oder beim Winzerfestival der anderen Art „Mittelrhein Offroad – Gipfelstürmer“ (7. und 8. Juni 2018). Die Heinzelmännchen, die die Lesen 2013 und 2014 überhaupt erst vollbrachten. Selbst nennen sie sich weniger niedlich „Wingertguerilla“, mit rotem Stern und grüner Rebe im Logo. Sie ist schon einen Schuss Romantik wert – die Erinnerung daran, wie die Solidarität am Drachenfels gewann. bh

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