Stiller Monolog einer Mutter

Heute hat mein Sohn wieder nicht angerufen. Früher haben wir viel häufiger telefoniert. Früher hat er mich regelmäßig besucht. Und früher haben wir uns so gut verstanden. Jetzt ist alles anders. Er hat geheiratet. Hat nun eine eigene – eine andere Familie. Für mich ist also kein Platz und keine Zeit mehr in seinem Leben.

Letztes Jahr hatten sie mich zu Weihnachten eingeladen. Das war zwar nett, aber nicht mehr so wie früher. Weil wir so viele waren, konnten wir nicht mal alle zusammen am Tisch sitzen. Und Geschenke sollte ich keine mitbringen, weil man ja alles hat. Geschenke hatte ich natürlich trotzdem dabei. In diesem Jahr fahren sie zu Weihnachten einfach weg. Wer macht denn sowas? Weihnachten feiert man zu Hause! Und wer weiß, wie viele Weihnachtsfeste ich überhaupt noch erlebe? – die möchte ich mit meinen Söhnen verbringen. Der andere Sohn kommt in diesem Jahr mit seiner Familie zu mir. Und ich weiß, dass auch das anders wird als früher.

In ein paar Monaten werde ich 80. „Wie möchtest Du feiern?“ – fragt mich mein Sohn. „Ganz groß mit Freunden und Verwandten? Oder eher ganz klein – im engsten Familienkreis? Oder irgendwas dazwischen?“ Das kann ich doch noch nicht entscheiden! Wer weiß, wie es mir dann geht? „Mutter, ich organisiere das und kümmere mich um alles!“.

Am Ende machen sie wieder so eine Feier, bei der man nicht am Tisch sitzen kann. Sonntags ruft er immer an. Wenn ich sage, er soll vorbei kommen, weil ich mit ihm reden muss, macht er jedes Mal riesige Umstände daraus: „Wir können doch am Telefon reden.“ Als wäre das dasselbe! Meistens kommt er doch, aber es ist nicht mehr wie früher. Kein Verständnis für meine Sorgen mit dem großen Haus oder meine Probleme mit den Nachbarn. Wenn er wieder fährt, geht es mir schlechter als vorher. Und dabei haben wir uns früher so gut verstanden! Franziska Lachnit (2017)

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