Diskussionen

Endlich sind wir wieder in der Stadt, in der wir uns endlos wohl fühlen: Lissabon. Die Sonne verschenkt so viel Licht und Wärme, wie wir kaum annehmen können. Wir sind zufrieden und entspannt. Mein Mann und ich. Am Vormittag unserer Abreise wollen wir noch einmal das gute Frühstück im Café unserer Wahl genießen.

Wir reihen uns also ein zur Bestellannahme. „Was nimmst Du?“ – frage ich meinen Mann. „Dasselbe wie gestern!“ – sagt er. „Ich hoffe, nicht dasselbe, sondern das gleiche!“ – ärgere ich ihn. „Ja!“ – antwortet er gelassen grinsend. Hinter uns stellt sich ein anderes deutsches Paar in die Reihe. Sie fragt: „Was nimmst du?“ Er antwortet: „Dasselbe wie gestern!“ – Ich werfe meinem Mann ein vergnügtes Schmunzeln zu.

Dann allerdings beginnt rücklings eine ausgiebige Diskussion: „Obwohl …“ zweifelt der Mann. Er kann sich nicht entscheiden: Soll er das Menü mit dem Orangensaft oder das mit dem Sandwich bestellen? Eigentlich hätte er gerne beides. Die vorgeschlagenen Menüs bieten diese Möglichkeit nicht an. Seine Frau hat sich bereits für die Version mit dem Orangensaft entschieden. Dieses Menü ist allerdings um 1,- Euro teurer als das Standardmenü ohne Organgensaft.

Dem Mann scheint das nicht zu gefallen. Sie erklärt ihm, dass er auch einfach nach seinen Wünschen bestellen kann – unabhängig von den Menüs. „Dann mach‘ du das an der Kasse klar!“ – kontert er. Offenbar aus Angst vor Sprachbarrieren. Wie es genau weiter ging, weiß ich nicht. Ich suchte schon mal ein nettes Plätzchen draußen auf der Terrasse, während mein Mann unser Frühstück entgegennahm.

Dort erschien kurz darauf auch das andere Paar: Beide mit Orangensaft! „Geht doch!“ – dachte ich. Aber dann: „Wo sollen wir sitzen?“ – ging die Auseinandersetzung weiter: „Hier?“ – An der Mimik konnte man sehen, dass der Platz doch nicht der richtige war. „DAS ist Dein Cappuccino!“ … „Ach, diesen Turm müssen wir ja auch noch …!“ So verlief die Diskussion immer weiter. Mein Mann und ich genossen das köstliche Frühstück und schlenderten dann davon. Einfach so. Ohne Diskussion. – Geht auch! Franziska Lachnit (2017)

Stiller Monolog einer Mutter

Heute hat mein Sohn wieder nicht angerufen. Früher haben wir viel häufiger telefoniert. Früher hat er mich regelmäßig besucht. Und früher haben wir uns so gut verstanden. Jetzt ist alles anders. Er hat geheiratet. Hat nun eine eigene – eine andere Familie. Für mich ist also kein Platz und keine Zeit mehr in seinem Leben.

Letztes Jahr hatten sie mich zu Weihnachten eingeladen. Das war zwar nett, aber nicht mehr so wie früher. Weil wir so viele waren, konnten wir nicht mal alle zusammen am Tisch sitzen. Und Geschenke sollte ich keine mitbringen, weil man ja alles hat. Geschenke hatte ich natürlich trotzdem dabei. In diesem Jahr fahren sie zu Weihnachten einfach weg. Wer macht denn sowas? Weihnachten feiert man zu Hause! Und wer weiß, wie viele Weihnachtsfeste ich überhaupt noch erlebe? – die möchte ich mit meinen Söhnen verbringen. Der andere Sohn kommt in diesem Jahr mit seiner Familie zu mir. Und ich weiß, dass auch das anders wird als früher.

In ein paar Monaten werde ich 80. „Wie möchtest Du feiern?“ – fragt mich mein Sohn. „Ganz groß mit Freunden und Verwandten? Oder eher ganz klein – im engsten Familienkreis? Oder irgendwas dazwischen?“ Das kann ich doch noch nicht entscheiden! Wer weiß, wie es mir dann geht? „Mutter, ich organisiere das und kümmere mich um alles!“.

Am Ende machen sie wieder so eine Feier, bei der man nicht am Tisch sitzen kann. Sonntags ruft er immer an. Wenn ich sage, er soll vorbei kommen, weil ich mit ihm reden muss, macht er jedes Mal riesige Umstände daraus: „Wir können doch am Telefon reden.“ Als wäre das dasselbe! Meistens kommt er doch, aber es ist nicht mehr wie früher. Kein Verständnis für meine Sorgen mit dem großen Haus oder meine Probleme mit den Nachbarn. Wenn er wieder fährt, geht es mir schlechter als vorher. Und dabei haben wir uns früher so gut verstanden! Franziska Lachnit (2017)

Sonnenfinsternis

Julia zieht sich die Decke über den Kopf. Sie liegt noch immer im Bett, obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel steht. Julia will das nicht wahr haben, sondern verkriecht sich immer tiefer in ihre imaginäre Höhle. „Was soll mir der Tag schon bringen? – Nichts. Und was könnte ich machen, das von Bedeutung wäre? – Nichts.“

Eigentlich würde sie gerne aufstehen und wie jeder andere den Tag beginnen, aber sie schafft es nicht. Ihr Körper ist zu Tatenlosigkeit erstarrt, und ihre Gedanken fallen immer wieder in das große schwarze Loch, das sich vor ihr auftut. „Ich könnte einfach das machen, was mir Spaß macht!“ – ein kleiner, leuchtender Funke, der sofort verglüht. Seine Asche fällt in das Loch. Arme und Beine sind schwer wie Blei.

Julia hat ein Gefühl, als ob eine erhöhte Erdanziehungskraft an ihr zerren würde. Oder dass eine Kraft auf sie einwirkt, die sie niederdrückt, Gewichte auf ihrer Brust deponiert und ihr den Atem raubt. In ihrem Kopf herrscht Finsternis. Allenfalls ziehen graue Schleier vorüber. Die Zeit tröpfelt vor sich hin, und für einen Moment erlöst der Schlaf Julia von ihrer Last. Als Julia wieder aufwacht, hat sich etwas verändert: Das schwarze Loch hat sich geschlossen.

Zurück bleibt eine düstere Fläche. Aber wenn Julia jetzt einen Fuß vor den anderen setzt, könnte sie es schaffen. Schaffen aufzustehen und gegen die mächtige Schwerkraft anzutreten. Manchmal klappt das. Vielleicht würde sogar ein zarter Lichtstrahl zu ihr durchdringen. Manchmal passiert das. Dieses ist dann der Augenblick, in dem die Sonne vorsichtig aus der Finsternis heraustritt. In diesem Augenblick beginnt dann doch noch der Tag! – Franziska Lachnit (2017)

Schreibblockade

„Alles fließt“ soll der alte Grieche Heraklit behauptet haben. Und nun warte ich schon seit Tagen – nein! Wochen darauf, dass Worte aus meiner Feder fließen. Nichts passiert. Alle Gedanken und Ideen, die auftauchen, verschwinden wieder in einem Strudel der Phantasielosigkeit.

Ich fühle mich verloren – ohne Rettungsring im endlosen Ozean treibend. Ich fühle mich eingekerkert – zurückgelassen ohne Nahrung und ohne Ausblick. Und das, obwohl ich gerade erst eine lange und weite Reise hinter mir habe. Voller Erwartung auf viele Geschichten, die ich schreiben könnte. Aber dann habe ich nicht mal ein Reisetagebuch geführt. Kein Abenteuer niedergeschrieben.

Nichts. War die Reise so langweilig? Nein. Natürlich nicht. Es ist wohl eher so, dass mein Traumland mich derart eingefangen und ummantelt hat, dass ich wie gefesselt war. Überraschungen, mit denen ich so beschäftigt war, dass ich keine Zeit für Worte hatte. Unannehmlichkeiten, die mich so zermürbten, dass ich keine Lust auf Worte hatte. Unbeschreiblichkeiten für die es sowieso keine Worte gibt.

Da waren spektakuläre Täler, ozeangleiche Seen und mächtige Gletscherzungen. Wolkenverhangene Berggipfel und urgewaltige Wasserfälle. Weite Prärien, Waldbrände und niedlich tapsende Bären. Todesmutig springende Lachse. Und gelegentlich sehr viele japanische Touristen, die sich – manchmal ebenfalls todesmutig – in Foto-Shooting-Positur setzten und ebenso lästig wie die zahlreichen Mücken sein konnten.

Gläserne Wolkenkratzer mit grandioser Aussicht! Killerwale, die scheinbar gemächlich auf ihrem Beutezug entlang der Küste durch das eisige Wasser gleiten. Möwen, die mitten in Downtown auf dem Hausdach ihr Junges füttern. Totempfähle erzählen von indianischen Legenden und beeindrucken mit ihrer Form- und Farbgewalt.  Diese Erlebnisse haben mich überwältigt und vorläufig sprachlos gemacht. Franziska Lachnit (2017)

Kastanien

Es ist wieder soweit: Kinder ziehen los, um Kastanien zu sammeln. Die fette Beute darf dann bei Haribo gegen bunte, süße Bärchen getauscht werden. In den Parks und auf der Insel, am Rheinufer und im Wald kriechen die Kleinen durch raschelndes Laub auf der Suche nach den braun glänzenden Früchten.

Ich erinnere mich an einen kleinen Jungen, dessen größter Wunsch es war, die erforderlichen 10 Kilo Kastanien zu sammeln. Und er träumte von 10 Kilo Gummibärchen. Das wäre ein Fest  – noch schöner als Karneval! Sein Papa machte sich mit ihm auf Beutezug. Da hier die Kastanien aus genanntem Grund sehr begehrt sind, fuhren die beiden extra in eine entlegenere Gegend, um ihre Erfolgsquote zu erhöhen.

Am Ende dieses Tages schleppte der kleine Junge freudestrahlend und stolz einen Sack voller Kastanien nach Hause und die Treppe hinauf. Der Papa sollte die Beute wiegen … Wer weiß, warum – aber er vergaß es. Und seltsamerweise dachte auch der kleine Junge nicht mehr an den großen Plan. Vielleicht hatte der Vater sogar den Sack gewogen und enttäuscht festgestellt, dass die 10 Kilo nicht erreicht waren … was er lieber vor dem Sohn vertuschen wollte. Auf jeden Fall wurde der Kastaniensack in einem Schrank im Treppenhaus deponiert und keiner weiteren Gedanken gewürdigt.

Beinahe ein Jahr verging. Im Treppenhaus hatte sich ein seltsamer Geruch verbreitet. Alle Hausbewohner wunderten sich, aber keiner konnte die Ursache entdecken. Hoffentlich hatte die Katze nichts versteckt, was nun in Verwesung begriffen war! Dann kam Sperrmülltag: Der Schrank im Hausflur sollte entsorgt und musste entrümpelt werden. Ja, und da die Überraschung: Die vergessenen Kastanien gammelten gemächlich vor sich hin und stanken erbärmlich. – Haribo wird sie wahrscheinlich nicht mehr genommen haben. Franziska Lachnit (2017)

HIT-Abenteuer-Markt

Wer in diesen Tagen „nur mal schnell beim HIT `was besorgen will“, wird überrascht sein über das, was ihm dann widerfährt: Der Ahnungslose wundert sich vielleicht nicht sofort beim Eintreten, wenn ihm auffällt, dass der Zeitschriftenladen verbarrikadiert ist. Und die Obst- und Gemüseabteilung erscheint nicht verdächtig.

Erst als man sich eine Packung Cornflakes aus dem Regal schnappen will und stattdessen Toastbrot erwischt, erschrickt man. Was ist denn hier los? Nichts ist mehr so, wie es mal war – kein Artikel mehr dort, wo er hingehört! Jetzt beginnt das Abenteuer: Ah! Da ist Müsli. Dann können meine Cornflakes  nicht weit sein. Falsch gedacht. Auf Nachfrage bei einer freundlichen Mitarbeiterin erfährt man, dass die Cornflakes irgendwo sind – vielleicht.

Ich finde sie nicht. Naja, egal. Und begebe mich auf die Suche nach Espresso, entdecke schnell das neue Kaffeeregal. Leider wird das erst bestückt, so dass sich große Lücken vor mir auftun. Espresso gibt’s nicht. Naja, egal. Dann aber habe ich Glück und treffe völlig unverhofft auf meine bevorzugte Nudelmarke – allerdings nur die Sorten, die ich nicht bevorzuge. Naja, egal.

Auf der Suche nach dem Käse, den meine Kinder so mögen, stoße ich dann auf ein provisorisches Regal vollgepackt mit den Lieblingsnudeln. Hurra! Angespornt von diesem Erfolg suche ich weiter nach den Artikeln, die ich „mal schnell besorgen“ wollte: Eier sind am gewohnten Platz – sehr gut. Beinahe hätte ich den Käse vergessen. Ich finde ihn nicht und bestelle an der Käsetheke: „Sechs Scheiben Beemster, bitte“ rufe ich laut über die Theke. Nebenan arbeitet ein Handwerker mit einer Bohrmaschine. „Sehr gerne“ ruft die Bedienung. „Ich kann aber nicht schneiden Wir haben gerade keinen Strom.“

Oh!? Naja, egal. Heute gibt es also keinen Beemster. Und leise höre ich schon das enttäuschte Maulen meiner Kinder… Auf der Jagd – wie es mir mittlerweile erscheint – nach Milch gerate ich an sehr edle Kühlschrankvorrichtungen. Frage mich allerdings, wie man diese öffnet – so ohne Griff? „Automatic“ werde ich durch einen Hinweis auf der Tür belehrt. Hightech pur! – und so hygienisch. Falls nicht doch alle Kunden versuchen, die Türen durch Handauflegen zu bewegen.

Und genau das kann ich im Folgenden beobachten. Jetzt habe ich genug von diesem Abenteuer, steuere auf die Kassen zu, die zumindest noch da sind, wo sie immer waren. Und zu meiner großen Erleichterung sitzen dort dieselben Kassiererinnen wie eh und je. Ein netter Plausch über mein soeben erlebtes Abenteuer, und ich verlasse vergnügt meinen Supermarkt. Franziska Lachnit (2017)

Immer dasselbe und doch anders

 Es war einmal Eine unbekannte Geschichte (s. HWZ Nr. 518), die mittlerweile beinahe ein Fortsetzungsroman geworden ist. Immer noch und immer wieder fragt der einstige Mundharmonikaspieler nach meinem Namen und wo ich wohne.

Mal sage ich einfach nur: „Das weißt du doch!“ Mal antworte ich ausführlicher – wie beim ersten Mal. Gelegentlich holt er sogar doch noch ein paar Mundharmonikas aus der Jackentasche und beginnt, auf einer zu spielen. Wenn er mich – auf meinem Weg durch die City – von weitem erkennt, ruft er laut „Hallo! Hallo!“ – hält sich freudestrahlend die Hände an die Wangen oder klatscht auf seine Oberschenkel.

Nicht immer allerdings habe ich Zeit und Lust, mich näher auf eine Art Gespräch einzulassen. Aber manchmal versuche ich, meine kurz angebundenen Reaktionen mit etwas mehr Zuwendung auszugleichen: Einmal verfolgte er mich bis hinein zum Bäcker: Ich bestellte, was ich bestellen wollte und fragte ihn, ob er auch etwas haben möchte.

Ein Strahlen lief über sein Gesicht und fröhlich wie ein kleines Kind zeigte er auf eine Puddingschnecke: „Das möchte ich haben!“ – Also bekam er die Puddingschnecke, serviert auf einem Teller mit Kuchengabel zum köstlichen Verzehr vor Ort. Seine Dankbarkeit lässt sich kaum beschreiben. Vor ein paar Wochen, als der Marktplatz bei schönem Wetter quasi ausgebucht war und alle Welt mit guten Speisen, kühlen Getränken in fröhlicher Gesellschaft beieinander saß, tigerte er durch die Reihen – auf der Suche nach seinem Anteil an der Geselligkeit.

Ein Glas Cola hatte er bereits erhaschen können. Aber ich dachte, dass er für diesen schönen Abend mehr verdient hätte: Ich schleuste ihn in das nächste Lokal. „Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen und trinken? Komm mit! Ich lade dich ein.“ Franziska Lachnit (2017)

Der Taubenschlag

Mein Großvater hatte nicht nur einen Wohnwagen im Garten, ein Baumhaus, zahlreiche Obstbäume, eine Schaukel und einen Sandkasten, sondern auch einen Taubenschlag. Seine Tauben waren allerdings keine Brieftauben oder ähnlich wertvoll. Er hielt sie, um sie zu essen. Die ganze Familie verspeiste gerne als Sonntagsgericht Täubchen mit Semmelknödeln und Specksalat.

Abgesehen von der Haltung der Tauben diente uns das Areal um den Taubenschlag auch als Not-Toilette. Wenn wir uns im Sommer den ganzen Tag im Garten aufhielten oder wenn im Wohnwagen übernachtet wurde, dann konnte man das kleine Geschäft unter dem Taubenschlag erledigen – sichtgeschützt von einer Reihe Fichten, einem Schuppen und einer Brombeerhecke. Die Sommerferien meiner Kindheit verbrachten wir jedes Jahr mindestens zur Hälfte im Garten meines Opas.

Da war dieses Freiluftklo recht nützlich – vor allem, während der Mittagszeit, wenn meine Großeltern sich zum Ruhen hingelegt hatten und wir sie im Haus nicht stören sollten. Im neuen, quietschgelben Badeanzug verschwand ich also eines Nachmittages hinter den Fichten unter dem Taubenschlag. Hockte mich hin -konzentriert darauf, keine Pipi-Spritzer ans Bein zu bekommen und den Badeanzug nicht nass zu machen.

Da traf mich plötzlich wie ein Schlag und mit einem Klatschen ein Taubenschiss auf der Schulter. Beinahe zu Tode erschrocken, stoppte ich laut kreischend mein kleines Geschäft. Rannte heulend zu meiner Mutter. Lachend nahm sie mich in die Arme. Und mein Vater schnappte – ebenfalls herzhalft lachend – den Gartenschlauch, wusch seiner, immer noch heulenden, Tochter den Schiss von Schulter und Arm.

Nach diesem Drama positionierte ich mich beim Pipimachen unter dem Taubenschlag nur noch so, dass die Wahrscheinlichkeit, von einer Taube beschossen zu werden, möglichst gering war. Franziska Lachnit (2017)

Urlaubstag

„Claudia! Ich gehe mal eben Zigaretten holen.“ Der Automat steht nur ein paar Meter entfernt in der nächsten Seitenstraße. Dennoch geht er zum Tabakladen in die Stadt. „Ich habe schließlich Urlaub!“ – und so setzt er sich beim nächst gelegenen Lokal an einen sonnenbeschienenen Tisch, um das erste Bier zu bestellen. Es ist Mittagszeit.

Also ist er umgeben von einigen anderen, die hier eine Pause einlegen: Geschäftsleute, ältere Ehepaare, sowie Ausflügler. Er bestellt das zweite Bier. „Das wenigstens muss im Urlaub drin sein!“ – rechtfertigt er sich im Stillen. Erst letzte Woche sind sie aus den Sommerferien von Mallorca zurückgekehrt – Claudia, die beiden Söhne und er. Jedes Jahr Mallorca! Und dabei würde er viel lieber eine Fernreise in ein unbekanntes Land unternehmen.

Claudia möchte das nicht: zu teuer für eine ganze Familie – aber die Jungs sind eigentlich alt genug, um mal alleine zu bleiben. Das würde ihnen sogar gefallen! Zu anstrengend – findet Claudia: Die Vorbereitungen wie Visum, Impfungen etc. Und dann die Reise mit Jetlag und der ganzen Umstellung. Alles zu stressig für die Ferien.

Jedes Jahr ist er enttäuscht. Während er darüber nachdenkt, dass seine Ehe ganz gut ein Abenteuer gebrauchen könnte, bestellt er ein weiteres Bier. „Die meiste Zeit des Jahres schufte ich. Mein unverhoffter Karrieresprung, das gigantische Gehalt, mein Traumauto! Das alles ist hart erarbeitet.“ Zur Belohnung lässt er sich noch ein Bier bringen.

Seine Gedanken werden lauter, allerdings unartikulierter. Als ein Bekannter vorbei kommt, lädt er ihn mit gellender Stimme auf ein Bier ein. Eine unkoordinierte Unterhaltung nimmt ihren Lauf. Jeder redet. Keiner hört zu. Aus beschwingt wird beschwippst und schließlich betrunken. Der Abend bricht gerade erst an, als sich die beiden schwankend auf den Heimweg begeben.  Franziska Lachnit (2017)

Et hätt noch immer jot jejange!

 „Das ist heute nicht mein Tag!“ schimpft die Kellnerin stumm. Angefangen hatte es bereits am Vormittag, als zu Hause alles schief lief. Kinder krank, Stress mit Mutter und ein Auto, das nicht anspringen wollte. Schon da fühlte sie sich hoffnungslos und überfordert.

Sie arbeitet in einem einfachen, aber sehr beliebten Lokal. Täglich kommen Stammgäste – zum Frühstück, Mittagessen oder abends auf ein Bier. Nur gelegentlich verirren sich Fremde hierher. An diesem Ort  ist es nicht spannend, sondern beständig. Jeden Morgen sitzt der Alte aus der Nachbarschaft am selben Tisch, um stundenlang seinen Kaffee zu schlürfen.

Mittags erscheinen immer dieselben Kollegen zur schnellen Pause. Oft kommen auch Familien zum gemütlichen Beisammensein; bleiben lange und hinterlassen ebenso viel Trinkgeld wie Chaos am Tisch. All das ist gut. Nur heute nicht! Gegen Mittag wird der Laden richtig voll. Im Eifer rutscht sie aus. Fällt. Steht wieder auf. „Was ist mit der Bestellung von Tisch 6?“ Außer Getränken wurde ihnen noch nichts weiter serviert.

„Wo bleibt deren Essen?“ Als sie in der Küche danach fragt, fällt auf, dass der Bestellzettel heruntergefallen war und dieser niemals in der Küche ankam. Sie begibt sich bemüht lächelnd an den Tisch, gesteht das Missgeschick und verspricht ihren Gästen, dass man sich beeilt. Schließlich serviert sie freundlich die Mahlzeit und bittet um Entschuldigung: „Selbstverständlich sind Sie heute unsere Gäste.“

„Nein, das geht nicht!“ „Doch! Sie sind eingeladen. Haben Sie noch einen schönen Tag!“ Sie bringt keine Rechnung, und die Gäste verlassen das Lokal. In Gedanken zieht sie resigniert den Rechnungsbetrag von ihrem Lohn ab. Zum Abräumen kehrt sie an Tisch 6 zurück:  „Was ist das?“ 50 Euro – weit mehr als der Rechnungsbetrag! „Nicht schlecht als Trinkgeld!“ Sie lächelt: „Sollte das doch noch mein Tag sein?“ Franziska Lachnit (2017)