Selhof

Über den Dächern – Ausgebrochen aus der Zange zwischen Grundschulgebäude und KASCH-Bunker einerseits sowie dem Tatütataa vom Roten Kreuz und dem Blablabla der Studenten andererseits, fühle ich mich nun befreit. Und das, obwohl sich in Selhof die Häuser unübersichtlich ineinander schmiegen und die engen Straßen beinahe ein wildes Labyrinth bilden. Traditionelle Fachwerkhäuser winden sich ums Eck und die schmalen Gassen fügen sich dem Verlauf der Häuserzeilen.

Jeder, der hier zum ersten Mal entlang geht, muss sich zwangsläufig verirren. Und niemand, der hier nur zufällig entlang spaziert, kann erahnen, welche Schätze in diesem Ortsteil verborgen sind. Zwar unternimmt man in der City mal spontan einen kurzen oder längeren Ausflug zum nächst gelegenen Lokal. Und beinahe alle Lokale sind dort nächstgelegen! In Selhof bleibt man lieber zu Hause. Es ist also ein bisschen abgelegen, aber so schön hier! Durch die geöffneten Fenster und über die Dachterrasse dringen fröhliche Kinder-Rufe: „Opa, komm‘ mal!“ – „Mama, darf ich zu den Kaninchen?“ – „Ich möchte Schoko-Kekse!“ – Und wenn ich einen Blick aus dem Fenster werfe oder auf der Terrasse stehe und lausche, erlebe ich, wie wohltuend lebendig meine Nachbarschaft ist. Nachts ist es ebenso wohltuend, nämlich still.

So still, dass ich endlich wieder schlafen kann! Wenn ich – egal zu welcher Tageszeit – auf der Terrasse sitze und über die Dächer schaue, sehe ich ALLES: Den blauen oder grauen Himmel, den mit weißen Wolken gesprenkelten Himmel oder den tief schwarzen und sternklaren Himmel. Ich blicke ihm mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Und immer sind da die unzähligen Dächer mit zahlreichen Satellitenschüsseln sowie ein paar altertümlichen Antennen. Dort verbirgt sich Gemütlichkeit und Gemeinschaft. Und immer ist da auch der freie Blick in die Ferne … auf die Sieben Berge und die Phantasie von dem, was dahinter kommt … Franziska Lachnit (2019)

Froschkönig II

Auch diesmal kein Märchen! Wer erinnert sich an die kleine, blondgelockte Prinzessin, die einst zusammen mit ihrer Mutter den „Froschkönig“ rettete? … Ebendiese Prinzessin hatte mit dem damaligen Abenteuer eine tiefe Zuneigung zu Fröschen gefunden. Als sie eines Tages gemeinsam mit Mutter und Großmutter über den (Rhön)dörflichen Flohmarkt spaziert, begegnet ihr „Froschkönig der Zweite“. Rot und gummiglänzend strahlt er ihr von einem Verkaufstischchen entgegen.

Diesen Frosch wünscht sich die Kleine auf Anhieb, und zwar innig. Die Großmutter hatte der kleinen Prinzessin bereits einen Wunsch freigegeben: „Du darfst Dir etwas aussuchen!“ – „Oma, ich wünsche mir diesen roten Frosch!“ –Die Großmutter zögert. Die kleine Prinzessin schaut abwechselnd zum Gummifrosch und zur schweigenden Oma. Dann flüstert die Großmutter der Mutter ins Ohr: „ Diesen Frosch habe ich für den Flohmarkt gespendet!“ Die Mutter kann ein prustendes Kichern nicht unterdrücken und entgegnet: „Tja, dann kannst Du ihn nun offenbar zurückkaufen!“

Gesagt getan – die Oma kauft zähneknirschend ihren Plastikfrosch zurück und überreicht ihn der strahlenden Prinzessin. Und so lebt Froschkönig der Zweite – inzwischen nicht mehr rotglänzend, sondern grau verwittert – bereits seit vielen Jahren im Paradies einer Dachterrasse mit Sonne, Schatten, Wind und Regen sowie unter den liebevollen Blicken der – nun nicht mehr kleinen, aber immer noch bondgelockten – Prinzessin. Franziska Lachnit (2019)

Lost in space

Neu Delhi, Indira Gandhi International Airport. Es ist mitten in der Nacht, als wir dort landen. Am Gepäckband wartend erfahren wir per Lautsprecherdurchsage, dass unser Anschlussflug nach Jaipur ausfällt. „Willkommen in Indien!“ Auf keinen Fall wollen wir am Flughafen warten, bis wieder ein Flug nach Jaipur geht, und auch in Delhi selbst möchten wir nicht bleiben. Dies ist unsere zweite gemeinsame Indien- und unsere Hochzeitsreise.

Wir haben keine Zeit zu verplämpern. Also schnappen wir uns das nächste Taxi, um zum ca. 270 km entfernten Jaipur zu gelangen. Als der Taxifahrer unsere Taschen verlädt, ahnt er noch nichts Schlimmes. Erst als wir in dem klapperigen Tata Platz genommen haben und unser Ziel nennen, rutscht ihm das Herz in die Hose. Das lässt er sich jedoch kaum anmerken und wackelt freundlich mit dem Kopf: „No problem!“ Doch das erste Problem scheint für ihn bereits die Fahrt von Delhi weg statt nach Delhi hinein zu sein.

Mein Mann nennt ihm die Nummer der Straße, die in Richtung Süden führt. Soweit so gut! Der Fahrer manövriert sein Gefährt gekonnt um Schlaglöcher herum, die sich auf der teils unbefestigten Straße eins ans andere reihen. Dass hier Linksverkehr herrscht, merkt man nicht sofort: Man fährt da, wo kein Schlagloch ist: Links, rechts, links, in der Mitte, rechts usw. Gelegentlich nähert sich 1 Scheinwerferlicht. Ich denke: Ein Motorrad. Aber dann brettert ein fetter LKW an uns vorbei, dessen zweiter Scheinwerfer einfach defekt ist.

Solche Situationen gehen offenbar nicht immer gut aus: Plötzlich ist die Straße gesperrt: LKW-Unfall. Hier ist vorläufig kein Weiterkommen, und der Taxifahrer dreht sich verzweifelt zu uns um. Nun wird es richtig abenteuerlich. Der Fahrer hat keine Ahnung, wo wir sind und wie wir nach Jaipur kommen. An jeder Kreuzung wirft er einen fragenden Blick zu uns: „Which way?“ Mein Mann nimmt eine Miniaturkarte zur Hilfe, die auf der Rückseite unseres Reiseführers abgebildet ist.

Über Nebenstraßen und Holperpisten leitet er den Taxifahrer durch die Nacht. Viele Stunden später erreichen wir tatsächlich unser Ziel. Mein Mann und ich sind happy. Allerdings befürchte ich, dass der ahnungslose Taxifahrer nie mehr nach Delhi zurückgefunden hat und nun sein Dasein im fremden Jaipur fristen muss … Franziska Lachnit (2019)

Das Leben anderer

Wer kennt das nicht? Dieses Abtauchen in Filme, Serien oder Bücher. Man schaut einen Film, eine Serie oder liest ein Buch und befindet sich plötzlich ganz im Leben dieser Szenarien und Geschichten anderer. Und dann wünscht man sich dorthinein. Ähnlich geht es mir mit dem Buch, das ich letzte Woche gelesen habe. Die Handlung spielt in einem Küstenort Südafrikas, den ich einmal während einer Reise besuchte.

Somit war mir die Kulisse der Erzählung sehr präsent: Das Licht, die Farben, die Wärme, die Häuser und Straßen. Ich konnte das alles beim Lesen wirklich sehen, geradezu spüren. Und ich konnte den salzigen Duft des Meeres riechen. Ich begleitete die Romanfiguren quasi Seite an Seite. Das war ein angenehmes, heimeliges und auch erregendes Gefühl. Ich trage dieses Gefühl nun schon seit Tagen mit mir herum. Einerseits genieße ich das. Andererseits ruft es großes Fernweh in mir hervor.

Und dann frage ich mich zum wiederholten Male, ob ich hier und jetzt, wo ich tatsächlich bin, hingehöre … Nun mischt sich aber wie immer die Vernunft ein: „Versuche nicht in das Leben anderer zu schlüpfen! Du hast Dein Leben! Mit wem würdest Du wirklich tauschen wollen?“ Und dann antwortet die Erkenntnis wie immer: „Ich will nicht tauschen! Mit niemandem!“ – Daraufhin erwidert die Vernunft: „Dann hast Du alles richtig gemacht.

Werde jetzt endlich und verdammt nochmal glücklich mit Deiner Entscheidung und Deinem Leben!“ … Ja! Vernunft und Erkenntnis sind wirklich klug. Die Seele spielt leider nicht immer nach deren Regeln. Sie verliert sich gerne immer mal … und findet sich dann in dem Leben anderer wieder … Franziska Lachnit (2019)

Das verlorene Paradies

Bei den ersten warmen Sonnenstrahlen greife ich mein Notizbuch und vielleicht auch noch einen Roman von Paul Auster oder einen Erzählband von Alice Munro. Dann laufe ich schnellen Schrittes zum Rhein und auf die Insel. Ich freue mich auf ein ruhiges Plätzchen unter dem frisch sprießenden, hellgrünen Blätterdach. Und auf das erste Weizenbier dieses Frühjahrs. Mein Weg führt am ehemaligen Kaiser’s vorbei – immer noch leer.

Ich laufe die Bahnhofstraße entlang, wo wieder ein paar Bagger meinen Blick auf sich ziehen. Ich verharre für einen Augenblick, um die Baustelle genauer zu betrachten. In der Austraße freue ich mich über die neu gepflanzten Bäumchen, deren Vorgänger im letzten Jahr schmerzvoll den Bauarbeiten weichen mussten. Alexander-von-Humboldt-Straße, dann noch die Brücke über die B42. Endspurt über die alte Rheinbrücke auf die Insel … Schock: Wo ist der Biergarten? – Das Hochwasser kann ihn nicht verschluckt haben.

Es gab in diesem Jahr kein Hochwasser! Der „König von Bad Honnef“ ist also tatsächlich ins Exil auf den Drachenfels gezogen. Wer übernimmt aber nun die Regentschaft auf der Insel? Für mich bricht ein Mikrokosmos zusammen. Mein Paradies für Inspiration, Wohlfühlen und letztendlich das Freiluftbier ist verloren gegangen. Ich bleibe ratlos auf dem Kies stehen, auf dem noch vor ein paar Monaten Stühle und Tische standen.

Im November noch, weil das Wetter so toll war! Besetzt von Familien, Rentnern und Geschäftsleuten. Kinder sammelten Steinchen. Radfahrer legten hier eine Tour-Pause ein. Und Pärchen schauten versonnen und Händchen haltend dem Fließen des Rheins zu. Und nun? – Leere. Ich gehe sehr langsam. Schlendere traurig am Ufer entlang. Mein Hirn zermartert sich bei der Suche nach einer Alternative. Mein Herz hängt der Romantik vergangener Tage nach … die Insel … wir haben sie verloren. Franziska Lachnit (2019)

Tante Jordan

Sie selbst hatte sich den Namen „Tante Jordan“ gegeben. Jeder ihrer Nachbarn sollte sie so nennen. „Jordan“ war ihr Nachname; den Vornamen kannte niemand. Tante Jordan konnte manchmal ungewöhnlich nett sein und verschenkte dann Bonbons an die Kinder. Meistens jedoch war sie griesgrämig und meckerte, wenn man im Hof ein bisschen mit dem Ball kickte, Fangen spielte oder die Einfahrt nicht gekehrt wurde. Waren die Fensterläden ihrer Wohnung geschlossen, sollte man besser keinen Radau machen.

Denn dann wollte sie eindeutig ihre Ruhe haben. Tante Jordan lebte allein. Vielleicht steckte sie deshalb voller Gram. Wir wussten es nicht. Als sich in unserem Ortsteil der kleine Supermarkt auf Nimmer-Wiedersehen verabschiedete und Tante Jordan immer gebrechlicher wurde, hatte sie ein Problem: „Woher bekomme ich das, was ich täglich brauche?“ Sie konnte nicht weiter vor die Tür als ein paar Meter. Die Zeiten, dass der Milchmann bimmelnd die Straße entlangfuhr waren schon lange vorbei.

Tante Jordan hatte niemanden, der ihr half. Niemand interessierte sich für sie. Sie hatte sich die gesamte Nachbarschaft mit ihrem Gezeter und Getratsche verscherzt. Ein Taxi zum großen Supermarkt außerhalb der Stadt konnte sie sich nur gelegentlich leisten. Dann blieb aber nicht mehr viel Geld für die Einkäufe. Anfangs schlurfte Tante Jordan zwar jeden Tag zum Bäcker ums Eck, holte ein Brötchen und manchmal ein Stück Kuchen, aber davon allein kann kein Mensch leben.

Schließlich sah man sie nur noch selten, und dann erschien sie einem klapperig und verhärmt. Irgendwann begegnete man ihr gar nicht mehr. „Lebt sie eigentlich noch?“, fragte man sich im Stillen. Und eines Tages wurde gemunkelt, dass sie ins Pflegeheim gekommen sei. Offensichtlich war da doch jemand, der sich – zumindest ein wenig – um sie gekümmert hatte. Ein Jahr später erschien schon ihre Todesanzeige in der Tageszeitung. Niemand hatte sie vermisst. Franziska Lachnit (2019)

Waldabenteuer

Die erste Nacht in der Hütte war erholsam. Auch wenn Kati und Flo ab und zu ungewohnte Geräusche vernahmen und kurz aufschreckten, so schliefen sie immer wieder schnell ein. Am nächsten Morgen blinzelt die Sonne sehr früh ins Tal. Flo wacht natürlich als erster auf und weckt die anderen. „Papa! Heute beginnen unsere Abenteuer!“ Papa gähnt, streckt seine Glieder: „Ja, Flo! Das habe ich Dir versprochen!“ Mama mischt sich ein: „Jungs! Zuerst gibt es ein gutes Frühstück!“

Flo freut sich auf beides: Frühstück und Abenteuer. Kati kuschelt noch mit ihrem Teddy und mag nicht aus dem Schlafsack herauskriechen. Schließlich machen sich die „Jungs“ … oder sollte man sagen „Männer“? … auf den Weg. Flo führt Papa zum Bach, den er bereits gestern mit Kati entdeckt hatte. Papa stapft in seinen großen, gelben Gummistiefeln am Ufer entlang, durch den Bach hindurch und wieder zurück. Sie haben Stöcke gesammelt und Pläne für die nächsten Tage geschmiedet.

Jetzt sitzen sie auf der Veranda. Jeder hält einen Stock und schnitzt. Flo ist glücklich. Papa auch. Und sogar Mama, denn sie sitzt bei ihnen und liest einen Krimi. Was ist mit Kati? Nachdem auch sie endlich aus den Federn kam, schnappte sie Stifte und Papier, um Bilder zu malen – vom Wald. „Heute Abend machen wir ein Feuer!“, entscheidet Papa. „Ja! Super!“, rufen Flo und Kati. Mama hat natürlich Bedenken. Das Feuer wird gigantisch. Die Kinder tanzen einen Freudentanz. Mama hat Angst. „Wenn die Fichten Feuer fangen?“ – „Das wird nicht passieren!

Ich passe auf.“, sind Papas Worte dazu. In diesem Augenblick knallt es. Das Feuer spuckt unzählige Funken in die Höhe. Alle halten den Atem an. Doch dann lösen sich die glühenden Punkte auf oder sinken friedlich zu Boden. „Jetzt wird kein Holz mehr aufgelegt!“, bestimmt Mama, und langsam flackern die Flammen niedriger, bis sie zu roter Glut zusammensacken. Franziska Lachnit (2019)

„Kaffee ist die wahre Fee“

Impressionen aus dem Siebengebirge – Geschichten, Malerei, Kaffee. Mit einem E-Book lädt KAFFEE SIEBENGEBIRGE dazu ein, beim Kaffeeschlürfen auf literarische und malerische Spaziergänge zu gehen … Die Autorin Franziska Lachnit erzählt Geschichten, die nur das Leben schreibt. Manche davon kennt man aus eigenen Erlebnissen, anderen folgt man gerne ins Unbekannte.

Die Künstler Anke Noreike, Sabine Odenthal, Hilmar Röner und Alfred Schneiderwind zeigen mit ausdrucksstarken Farben und gefühlvollem Pinselstrich ihre Sicht auf unsere Landschaft. Diese Kompositionen peppt Barbara Stiller liebevoll mit ein paar Kaffeeweisheiten auf: „Die einzig wahre Fee, die existiert, ist die Kaffee.“ – Kunst, Literatur, Weisheit, Kaffee: Den Gratis-Download erhält man hier www.kaffee-bongusta.de/shop/  – Genießt es! fl

Die Waldhütte

Gemütlich zuckelt der betagte R4 über den holperigen Waldweg. Das Auto ist vollgestopft wie bei jeder Urlaubsreise. Vater sitzt am Steuer, Mutter auf dem Beifahrersitz mit der Provianttasche zwischen den Füßen. Auf der Rückbank necken sich Bruder und Schwester vor lauter Ungeduld. Die Koffer füllen den hinteren Fußraum, so dass dort die Kinder eine tolle Lümmelfläche haben. Im Heck stapelt sich das restliche Gepäck bis unter das Autodach. Jetzt lenkt Papa für die letzten Meter in einen kleinen Pfad.

Und dort steht sie: Die Hütte. Mitten im Wald. Ohne fließendem Wasser. Ohne Strom. Ihr diesjähriges Feriendomizil. Das Abenteuer kann beginnen! Während Mama und Papa Koffer, Schlafsäcke, Taschen voller Spielzeug und Lebensmittel für eine ganze Woche in die Hütte verladen, stürmen Kati und Flo ins Unterholz des Waldes. Sie entdecken einen Bach, der sich plätschernd durch diese Idylle schlängelt. Flo strotzt vor Tatendrang und würde am liebsten sofort alle Abenteuer erleben: Auf Bäume klettern, Feuer machen, auf die Pirsch gehen … aber Kati möchte sich erstmal die Hütte anschauen.

Auf dem Weg dorthin, werfen sie einen prüfenden Blick ins Klohäuschen, das – zum Glück – in gebührendem Abstand zur Hütte steht. „Hier stinkt’s!“ Beide rümpfen die Nase. Dann kehren sie zurück zu ihren Eltern, die sich inzwischen auf der Veranda niedergelassen haben. Dort brennt eine Petroleumlampe, denn die Dämmerung fällt bereits ins Tal. „Papa, bauen wir morgen ein Baumhaus?“, drängelt Flo. „Mal sehen!“ Papa grinst und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Auch er möchte sich sofort ins Abenteuer stürzen. Aber der Abend bricht an. Der Wald wird stockdunkel. Alle haben Hunger und sind eigentlich ziemlich müde. „Morgen, wenn die Sonne wieder ins Tal blinzelt, dann soll unser Abenteuerurlaub richtig losgehen!“, verspricht Papa. Franziska Lachnit (2019)

Heimweh

1945. Der Krieg war endlich zu Ende. Aber nun mussten wir unsere Heimat verlassen, wenn wir nicht einen anderen Krieg oder gar die Hölle erleben wollten. Mutter veranlasste uns, die Koffer zu packen  – schnell und nur mit dem Notwendigsten. Großmutter legte in ihrer Verwirrung drei rohe Eier hinein. Meine ältere Schwester und ich, wir gaben uns alle Mühe, Mutter zu unterstützen. Unser kleiner Bruder war erst vier Jahre alt.

Er verstand nicht, was damals passierte und dass wir nie wieder zurückkehren würden. Für ihn war unsere Flucht ein Abenteuer. Für Großmutter lag das alles bereits außerhalb ihrer Realität. Und unsere Mutter übertraf sich selbst in ihrem Überlebensinstinkt. Sie brachte uns alle in Sicherheit. Wie hatte diese verwöhnte Dame das bloß geschafft? Alles wurde gut: Vater kehrte aus der Gefangenschaft zurück. Die Familie war vereint. Und schließlich baute Vater ein neues Zuhause für uns. Ich ging wieder zur Schule und in den Sportverein, wie jedes andere Mädchen. Ich machte eine Ausbildung.

Hatte eine gute Arbeitsstelle in der Großstadt. Ich stand auf eigenen Füßen! Männer spielten keine große Rolle in meinem Leben, bis plötzlich ein langjähriger Brieffreund aus Italien vor der Tür stand. Wir heirateten. Ich zog mit ihm in seine Heimat. Ich lernte seine Sprache. Ich arrangierte mich mit seiner „famiglia“. Und wurde im Laufe der Jahre schrecklich unglücklich.

Jetzt bin ich sehr alt. Ich habe beinahe alles vergessen und erkenne die Menschen um mich herum nicht mehr. Ich weiß meistens nicht, wo ich bin. Für mich gibt es nur noch wage Erinnerungen … an meine Kindheit, an Vater und Mutter … an mein Zuhause. „Vater, wo bist Du?“ – „Mutter! Mutter“ – „Ich will nach Hause!“ – Hier bin ich. In der Fremde. Allein. Und ich will einfach nur nach Hause! Franziska Lachnit (2019)