Urlaubstag

„Claudia! Ich gehe mal eben Zigaretten holen.“ Der Automat steht nur ein paar Meter entfernt in der nächsten Seitenstraße. Dennoch geht er zum Tabakladen in die Stadt. „Ich habe schließlich Urlaub!“ – und so setzt er sich beim nächst gelegenen Lokal an einen sonnenbeschienenen Tisch, um das erste Bier zu bestellen. Es ist Mittagszeit.

Also ist er umgeben von einigen anderen, die hier eine Pause einlegen: Geschäftsleute, ältere Ehepaare, sowie Ausflügler. Er bestellt das zweite Bier. „Das wenigstens muss im Urlaub drin sein!“ – rechtfertigt er sich im Stillen. Erst letzte Woche sind sie aus den Sommerferien von Mallorca zurückgekehrt – Claudia, die beiden Söhne und er. Jedes Jahr Mallorca! Und dabei würde er viel lieber eine Fernreise in ein unbekanntes Land unternehmen.

Claudia möchte das nicht: zu teuer für eine ganze Familie – aber die Jungs sind eigentlich alt genug, um mal alleine zu bleiben. Das würde ihnen sogar gefallen! Zu anstrengend – findet Claudia: Die Vorbereitungen wie Visum, Impfungen etc. Und dann die Reise mit Jetlag und der ganzen Umstellung. Alles zu stressig für die Ferien.

Jedes Jahr ist er enttäuscht. Während er darüber nachdenkt, dass seine Ehe ganz gut ein Abenteuer gebrauchen könnte, bestellt er ein weiteres Bier. „Die meiste Zeit des Jahres schufte ich. Mein unverhoffter Karrieresprung, das gigantische Gehalt, mein Traumauto! Das alles ist hart erarbeitet.“ Zur Belohnung lässt er sich noch ein Bier bringen.

Seine Gedanken werden lauter, allerdings unartikulierter. Als ein Bekannter vorbei kommt, lädt er ihn mit gellender Stimme auf ein Bier ein. Eine unkoordinierte Unterhaltung nimmt ihren Lauf. Jeder redet. Keiner hört zu. Aus beschwingt wird beschwippst und schließlich betrunken. Der Abend bricht gerade erst an, als sich die beiden schwankend auf den Heimweg begeben.  Franziska Lachnit (2017)

Et hätt noch immer jot jejange!

 „Das ist heute nicht mein Tag!“ schimpft die Kellnerin stumm. Angefangen hatte es bereits am Vormittag, als zu Hause alles schief lief. Kinder krank, Stress mit Mutter und ein Auto, das nicht anspringen wollte. Schon da fühlte sie sich hoffnungslos und überfordert.

Sie arbeitet in einem einfachen, aber sehr beliebten Lokal. Täglich kommen Stammgäste – zum Frühstück, Mittagessen oder abends auf ein Bier. Nur gelegentlich verirren sich Fremde hierher. An diesem Ort  ist es nicht spannend, sondern beständig. Jeden Morgen sitzt der Alte aus der Nachbarschaft am selben Tisch, um stundenlang seinen Kaffee zu schlürfen.

Mittags erscheinen immer dieselben Kollegen zur schnellen Pause. Oft kommen auch Familien zum gemütlichen Beisammensein; bleiben lange und hinterlassen ebenso viel Trinkgeld wie Chaos am Tisch. All das ist gut. Nur heute nicht! Gegen Mittag wird der Laden richtig voll. Im Eifer rutscht sie aus. Fällt. Steht wieder auf. „Was ist mit der Bestellung von Tisch 6?“ Außer Getränken wurde ihnen noch nichts weiter serviert.

„Wo bleibt deren Essen?“ Als sie in der Küche danach fragt, fällt auf, dass der Bestellzettel heruntergefallen war und dieser niemals in der Küche ankam. Sie begibt sich bemüht lächelnd an den Tisch, gesteht das Missgeschick und verspricht ihren Gästen, dass man sich beeilt. Schließlich serviert sie freundlich die Mahlzeit und bittet um Entschuldigung: „Selbstverständlich sind Sie heute unsere Gäste.“

„Nein, das geht nicht!“ „Doch! Sie sind eingeladen. Haben Sie noch einen schönen Tag!“ Sie bringt keine Rechnung, und die Gäste verlassen das Lokal. In Gedanken zieht sie resigniert den Rechnungsbetrag von ihrem Lohn ab. Zum Abräumen kehrt sie an Tisch 6 zurück:  „Was ist das?“ 50 Euro – weit mehr als der Rechnungsbetrag! „Nicht schlecht als Trinkgeld!“ Sie lächelt: „Sollte das doch noch mein Tag sein?“ Franziska Lachnit (2017)

Nächste Ebene

Es gibt Träume, die sich in einer zweiten, tieferen Ebene abspielen. Das bedeutet, dass man sich von der ersten Traumdimension in eine weitere Stufe begibt. Das Labyrinth wird also erweitert. Wenn man das erste Mal aufwacht, befindet man sich immer noch im Traum. Und erst das zweite Aufwachen bringt einen zurück in die reale Welt.

Das ist mir bisher dreimal passiert: Die Traumgeschichte des ersten Mals habe ich leider vergessen. Ich weiß nur noch: Als ich dachte, ich würde nur träumen und wollte aufwachen, befand ich mich immer noch in einem Traum und musste erstmal aus diesem herausfinden, um wirklich wach werden zu können.

Der zweite Traum dieser Art verlief so: Meine Familie und ich befinden sich an einem Flughafen, und wir warten gelangweilt auf das Boarding. Von unserem Gate aus beobachten wir, wie ein Flugzeug startet. Aber plötzlich macht es eine Kehrtwendung, saust mit voller Geschwindigkeit zurück  in den Hangar. Was passiert da? – „Das ist ein Albtraum, das ist ein Albtraum!“ – rufe ich meinem Sohn zu. – Nein, dafür dauert es zu lange. Der Kick, der einen aus einem Albtraum herausholt, kommt diesmal nicht.  

Der Traum geht weiter: Massenhysterie bricht aus. Wir versuchen aus dem Gebäude zu entkommen, geraten dabei in niedrige Gänge und Sackgassen. Klaustrophobie und Ausweglosigkeit sind schließlich der Kick, der mich doch noch befreit aus meinem Traum. Ein vermeintlicher Traum in einem wirklichen Traum. Und beim dritten Mal erlebte ich wieder einen Albtraum: Mitten in diesem Traum höre ich eine Stimme, die meinen Namen ruft. Daraufhin wache ich auf. Meine Tochter kauert neben meinem Bett.

Einerseits will sie mich beruhigen; andererseits benötigt sie selbst Beruhigung. Erst dann erwache ich wirklich. Niemand sitzt neben meinem Bett. Niemand hatte meinen Namen gerufen. Wieder ein Traum im Traum. Franziska Lachnit (2017)

Freundin

Unsere Freundin, wie immer mit Cowboyhut auf dem Kopf, zahlreichen, bunten Bändern um den Hals, einigen Plastiktüten und mindestens einer Dose Bier im Gepäck. So saß sie mal wieder auf der Treppe vor unserem Haus. „Puh, ist das anstrengend“ stöhnte sie. „Bin den ganzen Weg gelaufen!“ „Aber dafür bist du noch recht trocken … bei dem Wetter!“ – erwiderte ich.

Der ganze Tag war gewitterig. Ein heftiger Regenguss jagte den nächsten. Ich hatte gerade eine der seltenen Regenpausen genutzt, um Sperrmüll an den Straßenrand zu stellen, und schon tröpfelte es wieder. „Ich muss ja den ganzen Weg laufen bis zur Tankstelle“ – und dabei hob sie die Bierdose. „Der Netto hat noch drei Wochen geschlossen.“ Einigermaßen, aber ohne wirkliche Betroffenheit kann ich ihr Leid nachempfinden. „Freundin“ ruft sie.

„Ich weiß ja gar nicht, ob ich dich das fragen darf …“ „Frag ruhig!“ „Hast du ein Plüschtier für mich? Ich sammle die! Ich sammle die wirklich! Guck mal hier, wenn du willst! Das hab‘ ich aus dem Billigladen (Anm. -> Caritas). Die schenken mir ab und zu eines.“ Ich schaute und musste lächeln: „Ja, wir haben bestimmt ein Plüschtier für dich. Ich muss mal gucken, aber heute habe ich leider keine Zeit, denn ich bekomme gleich Besuch …“

„Oh Schade.“ „Wir sehen uns doch regelmäßig und dann kann ich’s dir geben!“ „Ja, aber heute bekommst Du Besuch!“ „ Genau! Von meinen Eltern.“ „Oh, wie schön! Dann grüß sie mal unbekannter Weise!“ „Ja! Das werde ich sehr gerne machen.“ Und das tat ich. Aber ein Plüschtier für unsere Freundin habe ich leider noch nicht gefunden. Während ich auf meine Eltern wartete, öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Freundin suchte Schutz unter dem Vordach der Schule und fand dort ihre nächste Gesprächspartnerin. Franziska Lachnit (2017)

Großmutters Monolog

„Ach Herrje! Wo bin ich nur? Ist das hier etwa mein Zimmer? So eng? Und sitzen kann man nur auf der Toilette. Hier ist nicht mal Platz für ein Bett. Also sitze ich auf der Toilette und beschäftige mich damit, Toilettenpapier Blatt für Blatt oder viele Blätter zusammengeknüllt in die Kloschüssel zu werfen. Von unten aus dem Wohnzimmer dringen wieder diese unbekannten Stimmen herauf. Der Vater hat schon wieder Besuch, von dem er mir nichts gesagt hat. Nie sagt er mir etwas! Und dann gehe ich immer auf die Toilette, um mich zu verstecken. Vielleicht sollte ich jetzt besser den Sohn anrufen, um ihm von den fremden Leuten zu erzählen. Aber wo ist das Telefon? Ich glaube, ich sehe doch mal nach, wer da gekommen ist.

Alles tut weh. Schon wieder blaue Flecken an Armen und Beinen. Ich liege im Bett. Habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Ich weiß auch nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Der Rollladen ist geschlossen. Es ist dunkel und ich kann die Uhrzeit auf dem Wecker nicht erkennen. Wollte ich nicht hinunter ins Wohnzimmer gehen, um Vaters Besuch zu begrüßen? Oder wollte ich auf die Toilette? Oder wollte ich den Sohn anrufen?

Jetzt bleibe ich erstmal hier – in meinem Bett. Geborgen und ruhig fühlt es sich an. Außer wenn auf der Straße ein Lastwagen um die Kurve donnert und sich dabei so aufdrängt, als würde er das Haus halbieren. Ich liege da. Neben mir an der Wand hängt ein Bild von Jan Vermeer. Schön ist es. Eine Frau mit dickem Bauch; sie erwartet ein Kind. Ein Kind – das hatte ich auch. Drei Kinder habe ich. Wo sind sie? Ich habe einen Sohn. Ich muss ihn anrufen: Sein Vater hat Besuch. Unbekannte Leute. Stimmen, die ich nicht kenne …“ Franziska Lachnit (2017)

Berghütte

Die hölzerne Terrasse der Berghütte ist vollgestopft mit Tischen, Bänken, Stühlen und Gästen. Die Sonne haut ihre Hitze auf die Terrasse. Nur hier und da wirft ein Schirm wohltuenden Schatten. Die Aussicht allerdings ist grandios: Unverstellter Blick über schneebedeckte Bergspitzen und andererseits schwindelerregend hinab ins Tal.

Dünn schlängelt sich der Gebirgsbach, und Häuser erscheinen einer Modelleisenbahnlandschaft entsprungen zu sein. Aber statt Gebirgsbachrauschen hört man nur ein chaotisches Stimmengewirr unterschiedlichster Sprachen – kaum auseinanderzuhalten. Zwischendrin die Kellnerin, die die Bestellungen laut preisgibt und nach dem passenden Empfänger ruft. Endlich bringt sie das Bier!

Es zischt und verdampft quasi im trockenen, heißen Mund. Kalt, nass und würzig! Kurz darauf wird auch die bestellte Mahlzeit serviert: Bauernbrot mit Schmalz und grünem Salat. Deftig und sättigend! Das Brot ist frisch und mit krosser Kruste, das Schmalz hausgemacht und fettig, der Salat knackig und mit seinem säuerlichen Dressing eine geschmackvolle Ergänzung zum Schmalzbrot. Darüber vergisst man glatt die tosende Geräuschkulisse – Das Bier kühlt die Kehle. Das Mahl beruhigt den Magen.

Und das Gemüt lässt sich entspannt zurückfallen. Die Anstrengung des Aufstiegs in der sommerlichen Hitze ist beinah vergessen; lediglich die Waden erinnern noch daran. Sie sind verspannt, und ihnen wird am nächsten Tag mit Sicherheit ein ausgewachsener Muskelkater beschert sein. Am Nachbartisch wird geraucht.

Zigarettenrauch hoch oben in der klaren Gebirgsluft – eigentlich ein Frevel. Aber vor Jahren wäre das eher verführerisch als abstoßend gewesen. Jetzt Augen schließen. Satt sein. Ein halbes Glas Bier steht da noch – Genuss verheißend. Angenehmer Halbschatten. Beine ausstrecken und die Seele baumeln lassen. Dann steht der Abstieg bevor! Franziska Lachnit (2016)

Zeit

Ausschlaggebend war der Kommentar einer Bekannten in einer E-Mail: „Ich habe Fotos von Deinen Kindern auf Facebook gesehen.“ Mein Ex-Mann hatte ein paar Fotos aus seinem gemeinsamen Urlaub mit unseren Kindern gepostet. „Jetzt will ich aber mal sehen, was der Welt via Internet von meinen Kindern präsentiert wird!“ Ich wurde selbst Teil dieser World-Wide-Web-Community. Nicht so begeistert von den Bildern meiner vorpubertären Tochter im Bikini am Strand, aber – wie Millionen andere auf unserer Erde – angefixt von dieser ungeahnten Leichtigkeit der Kommunikation. Bekannte suchen und sich zu Freunden machen – noch nie ging das so einfach! Eingeschlafene Kontakte wiederbeleben – toll! So viel aus der ganzen Welt erfahren und kennenlernen – beeindruckend! Immer mehr Freunde und mehr Diese Seite gefällt mir, mehr Kommentare, mehr Posts, mehr, mehr, mehr. Eine gigantische Flutwelle brach irgendwann über mir zusammen. Atemlos und verschüttet blieb ich zurück. Meiner Zeit und einem Stück Freiheit beraubt. Statt sich tatsächlich in der Welt zu bewegen, befindet man sich wie gefesselt am PC, Smartphone oder Tablet. Mit dem Zwang, alle Nachrichten erfassen zu müssen sowie dem Drang, sich selbst permanent mitzuteilen, verlieren wir den Augenblick, in dem wir uns just in diesem Moment befinden. Wir denken, wir halten ihn fest. Aber eigentlich erleben wir ihn ja gar nicht! – sondern verpassen ihn und seinen leisen Charme, seine brüllende Freude oder seine heimliche Traurigkeit. Mittlerweile habe ich den Dieb zumindest von meinem Handy verbannt und versuche, seinen Verführungen zu widerstehen, wenn ich am PC sitze. Dennoch stiehlt er mir gelegentlich meine Zeit. Manchmal immerhin hinterlässt er brauchbare Informationen oder auch einen Augenblick, der mir einen Bruchteil der gestohlenen Zeit zurückgibt. Franziska Lachnit (2017)

Hymne auf den Singsang

Jeder kennt sie, die Diskussionen über deutsche Dialekte. „Also, ich finde Sächsisch am schlimmsten!“ – sagen die meisten. ICH finde das nicht. Meine Mutter kommt aus Sachsen. Jahrelang hat sie sich aus Scham ihren Dialekt abtrainiert. Dann hörte man es ihr normalerweise nicht mehr an. Aber jedes Mal, wenn sie mit meinen Großeltern telefonierte oder diese zu Besuch waren, verfiel sie zurück ins leichte Sächseln. Ich mochte das. Und die ein oder andere Vokabel gehört auch heute noch zu meinem Wortschatz: Bemme für Butterbrot. Lullern für Pipi machen. Schickse für Tussi. Ich find’s herrlich! Aber von allen Dialekten unserer Nation ist unser rheinischer Singsang doch der schönste. So meine Empfindung eben auf dem kurzen Heimweg von der Stadt nach Hause: Da standen zwei ältere bzw. schon recht betagte Damen auf dem Gehweg und unterhielten sich: Die Stimmen schwangen melodisch auf und ab – am Ende des Satzes immer hinauf in den Himmel oder sonst wohin in die Höhe. Wundervoll. Heimatlich. Aufgewachsen bin ich mit den Tönen der Bläck Fööss und einem Briefträger, dessen Platt vom Feinsten war – nur mein Vater konnte ihn verstehen, da sie gemeinsam die Volksschulbank gedrückt hatten. Durch die Pubertät ging ich mit den Texten von BAP, die ich regelmäßig meiner Cousine ins Hochdeutsche übersetzen musste. Genau diese Cousine war immer genervt, wenn ich ausrief „Do biss ja jeck!“. Einmal diente ich als Dolmetscher zwischen einem Niederbayern und einem Rheinländer – sehr witzig. Im Laufe der Jahre habe ich langsam, aber schließlich sehr deutlich gespürt, dass es mich mit (rheinem) Stolz erfüllt, wenn ich – wo auch immer – als Rheinländerin erkannt werde. Und niemals käme ich auf die Idee, meinen Singsang zu verstecken. Ich singe … eine Hymne auf unseren Dialekt! Franziska Lachnit (2017)

Mittsommer

Die Sonne steht im Zenit. Erbarmungslos brennt sie vom hohen Himmel herab. Setzt man sich ihr aus, grillt sie deine Kopfhaut und gart dein Hirn. Nackte Haut an Armen und Beinen beginnt zu kribbeln, wird rot und verbrennt so schnell, dass jede Sonnencreme zu spät kommt. Erschöpft winden wir uns im Gartenstuhl. Hosenbeine und Rockschöße kleben ekelig, wenn wir uns gequält bewegen.

Jeden Luftzug feiern wir als Gewinn und jede Windböe als Errungenschaft. Wäre es im Haus nur ein Grad kühler, könnte man sich im Bett ein wenig ausruhen! Doch in den vier Wänden sammelt sich die Hitze, verdichtet sich, dass man sie nicht mal mit Hilfe eines Ventilators umrühren kann. Das ist also keine Alternative. Wir bleiben draußen. Kraftlos. Ausgedörrt. Und nach eisgekühlten Getränken lechzend.

Leider schmilzt der Eiswürfel so plötzlich und wundersam wie ein Zauberer das Kaninchen verschwinden lässt. Hoffnungsvoll erwarten wir den Abend. Zuversichtlich, dass er das Sonnenfeuer löscht. Nur langsam und sehr bedächtig nimmt der glühende Stern seinen Lauf. Es bringt immerhin schon Linderung, wenn die Glut hinter Baumkronen und Häuserdächern versinkt. Ein leichter Abendwind meldet sich. Oh, Danke! Endlich ist man wenigstens bereit, ein paar Schritte zu gehen.

Ein paar Worte zu sagen. Sogar Scherze zu machen. Getränke akzeptieren wir nun auch lauwarm. Was sollen wir sonst tun? Bedächtig legt sich ein Hauch von Dunkelheit über den Abend und allmählich in die Nacht hinein. Einigermaßen erleichtert blicken wir zum Himmel: Ein paar bleiche Sterne tauchen auf. Schwer zu erkennen. Sie leuchten nur wie müde Funken – ein schwacher Schatten ihrer großen, heißen Göttin, die noch immer nicht ganz ihr Licht unter dem Horizont versenkt hat – in dieser Mittsommersonnennacht. Franziska Lachnit (2017)

Vom Ankommen

Als ich auf die A31 biege, erhöhe ich stetig das Tempo. Durch Essen hatte ich mich vorsichtig leiten lassen, da ich diese Strecke noch nicht kannte. Und wenn ich normalerweise über die A3 anreise, bewegt man sich langsam durch den dichten und meist stockenden Verkehr. Immer erst auf der A31 kann man aufs Gaspedal treten.

Es ist keine Eile und schon gar nicht Stress, was mich antreibt. Es ist die pure Freude. Ich beginne zu lächeln, und die Musik wird lauter. Ich cruise ins Paradies, um dort eine Einsiedler-Woche zu verbringen. Fern von Pflichten, Rücksichtnahmen und Menschen. Ein Schild am Straßenrand besagt: Münsterland – Das Lächeln muss wohl schon hässlich mein Gesicht verzerren.

Ich rase durch die flache Landschaft: verstreute Höfe, umgeben von hohen Baumreihen und kleinen Wäldchen. Willkommen in Niedersachsen – Ich beschleunige nochmals und genieße das Gefühl, bald am Ziel zu sein. Kiefern auf Sandboden statt Buchen auf Trachyt-Tuff. Noch ein Kilometer bis zur Ausfahrt. Schließlich nehme ich den Fuß vom Gaspedal und lasse den Wagen von der Autobahn rollen.

Danach kenne ich jede Ampel und wie sie schaltet, jeden Blitzer und jede Tankstelle. In spätestens einer Stunde werde ich endlich da sein! Die Straße ist eine Allee aus dichten Kastanien, Eichen und Linden. Von ihnen beschattet gleite ich – innerlich jubilierend – dahin. Kein bummelndes Wohnmobil, keine Baustelle kann mir meine freudige Gelassenheit nehmen.

Ich erreiche die Ortschaft, überquere den Fluss. Auf der Landstraße gebe ich letztmals Gas und biege dann auf einen Weg zwischen Roggen- und Gerstenfeldern. Im Schritttempo – wie gewünscht – lenke ich über die Hofanlage. Auf der Terrasse empfängt mich – wie erwartet – eine kleine Katze. Angekommen! Franziska Lachnit (2017)