Frühlingsgefühle

Er ist im Anmarsch, der Frühling! Zwar sehen wir noch keine Blätter sprießen oder Blüten blühen, aber die Herzen, die zwar immer noch in wollige Schals und Mäntel gepackt sind, beginnen zu hüpfen … Und so passierte neulich folgendes: Einkaufstour beim großen Supermarkt. Alles verläuft entspannt, denn die Feiertage sind schon lange überstanden, während das Wochenende noch nicht unmittelbar vor der Tür steht.

Ein Schwätzchen mit der Kassiererin und ein Plausch im Blumenladen. Dann schlendere ich zurück zu meinem Auto, um die überschaubare Beute da hinein zu verfrachten. Kaum habe ich die Kofferraumklappe geöffnet, grüßt mich eine freundliche Stimme: „Hallo!“ Ein junger Mann steuert auf mich zu, ein sympathisches Lächeln im schmalen Gesicht. Ich denke, dass er wahrscheinlich Münzen für den Einkaufswagen wechseln möchte oder eine Auskunft wünscht. „Hallo!“, erwidere ich gleichfalls freundlich und lächelnd. „Wie heißt Du?“, fragt er unvermittelt.

Jetzt bin ich ein wenig perplex. „Wieso? Warum willst Du das wissen?“ Ich argwöhne, dass er mich nun in ein Werbungsgespräch verwickeln will. „Ich heiße David.“, offenbart er und reicht mir strahlend seine Hand. Die Hand nehme ich und gestehe sogar meinen Namen. Aber irgendwie vermittelt er mir, dass ich ihn kennen bzw. wiedererkennen müsste. Das tue ich aber bei aller Grübelei nicht. Dann überreicht er mir einen kleinen, gelben Post-it-Zettel, gefaltet.

„Das ist für Dich.“ – „Was ist das? Und warum?“ – „Schau nach! Es ist einfach so.“ – Während ich den kleinen Zettel entfalte, geht der strahlende, bartstoppelige, Schal umschlungene, junge Mann davon … Ich lese: „Finde Dich süß – David – 01719988765“. Jetzt bin ich tatsächlich sprachlos. Brabbel etwas vor mich hin und weiß nicht, was ich denken soll. Dann ärgere ich mich, dass ich so spröde und argwöhnisch war. Ich sollte Hurra schreien, weil ich DAS erlebt habe! Ich fahre lauthals lachend nach Hause. Einfach so. Franziska Lachnit (2020)

Frei wie der Wind

Sowohl Sylvie als auch Max waren aus meinem Umfeld verschwunden, und ich entfernte mich sowieso zunehmend aus dem Studenten- und Universitätsleben. Neue Bekanntschaften kreuzten meinen Weg. Ich tauchte ab in die Welt der Unternehmer und Geschäftsleute. Fern der Wissenschaft ging es nun um Zielsetzungen, Strategien, Marketing, und vor allem ging es um Geld. Obwohl mich all das eigentlich nicht interessierte, geriet ich in den Sog, den diejenigen erzeugen, die hungrig nach Karriere streben.

Ich wurde zum Mitläufer, Trittbrettfahrer oder wie man das auch immer nennen mag. Jede Aufgabe wurde zur Herausforderung für mein Selbstwertgefühl, und jeder Mensch, der mich in dieser aalglatten Welt wahrnahm, bedeutete eine Bestätigung meines Selbst. Da war eine Ahnung von Unabhängigkeit … Heute hier, morgen dort … Reisen um den Globus im Perpetuum Mobile … Ich fühlte mich frei wie der Wind! – 

Heute ist einer der seltenen Tage, die ich in meiner Wohnung verbringe. (Ich habe tatsächlich einen festen Wohnsitz!) Ich lümmele lustlos, aber mit schlechtem Gewissen auf dem Sofa. Ich glotze sinnlos aus dem Fenster über die Dächer in die Landschaft: Rauch wirbelt weiß aus Schornsteinen, um sogleich waagerecht hinweggepustet zu werden.

Dann löst er sich abrupt auf. Die Straßenlaternen wanken beängstigend hin und her. Eine Flagge am Mast wird brutal gebeutelt. Erst jetzt nehme ich das Pfeifen und Klappern unter den Dachschindeln wahr. Ein Sturm tobt sich aus. Er treibt gnadenlos Wolkenfetzen über den schattierten Himmel. Das letzte Laub des vergangenen Herbstes wirbelt er wie buntes Konfetti durch die Luft … Frei wie der Wind!? – So fühlte ich. Aber bin ich auch stark und heftig wie ein Sturm? Kann ich wild sein? Kann ich tatsächlich frei sein? – Ich weiß es nun nicht mehr. Franziska Lachnit (2020)

Ohne Anfang kein Ende

Sylvie, Max und ich kehrten nach Hause zurück. Unser Wochenendtrip war ziemlich schräg. Was hatten wir erwartet? Dass sich eine intime Beziehung entwickelt? Zwischen wem genau? Ich wusste es nicht. Ich war verwirrt und auf eine unerklärliche Art enttäuscht. Meine Freundin ließ sich nichts anmerken und spielte weiterhin die zauberhafte Rolle des blondgelockten Engels. Ich vermutete inzwischen aber einen teuflischen Plan hinter ihrem „ach so hübschen!“ Antlitz.

Hatte ich Recht oder war ich auf dem Weg ein miesepetriger und argwöhnischer Mensch zu werden? Ich zog mich für eine Weile zurück. Zumindest von Sylvie. Mit Max nahm ich stattdessen mehr und mehr Kontakt auf. Und tatsächlich konnte man ganz gut mit ihm reden. Abende bei Bier in der Stammkneipe oder bei Wein in seiner Bude vergingen vergnüglich und wie im Fluge.

Die Gesprächsthemen wanderten von der Arbeit an der Universität über allgemeine Themen bis hin zu privaten Angelegenheiten. Sylvie hatte sich derweil wieder ein paar Mal mit ihrem Ex-Freund, dem smarten und wohlhabenden Marco getroffen und haderte mit sich und ihren Träumen von der Zukunft. Sie und ich sahen sich zu der Zeit nur zufällig – in der Bibliothek, dem Hörsaal oder der Mensa.

Das war seltsam. Ich glaube, wir alle fühlten uns damals seltsam. Keiner von uns wusste, was er eigentlich wollte. Oder was er auf keinen Fall wollte! Während Sylvie also wieder eine kurzzeitige und letztendlich unerfüllte Affäre mit Marco einging, lagen Max und ich Arm in Arm auf seinem Sofa. Im Sommer knutschten wir hingebungsvoll auf den Bänken an der Uferpromenade. Stets beteuerten wir dabei, dass es „nur so“ wäre! Dass wir auf keinen Fall „zusammen sein“ wollen! Ohne Anfang, kann es schließlich auch kein Ende geben! Das spürten wir. Und genauso war es gut. Franziska Lachnit (2020)

Trip zu Dritt

Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen? Meine Kommilitonin und beste Freundin – Sylvie – wollte über das Wochenende zum Windsurfing ans Meer fahren. Wahrscheinlich hatte sie mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. „Ja!“ – Ich mochte. Dann hatten wir auch Max, den Doktoranden gefragt. Und „Ja!“ – Er kam ebenfalls gerne mit. Also tuckerten wir zu Dritt mit Sylvies alter Ente nach Westen, geradewegs aufs Meer zu. Der Himmel lag mit einem dünnen, grauen Schleier über uns. Sylvie stützte ihren linken Fuß auf das Armaturenbrett, hatte ihren Ellbogen aufs Knie gelegt und lenkte so lässig mit Links den Wagen. Ihre blonden Engelslocken wippten lustig im Luftzug des geklappten Fensters. Ich beobachtete sie genau. Max tat das wahrscheinlich auch. Aber wer weiß? Er saß auf der Rückbank und sprach kaum ein Wort. Am Meer wehte eine sanfte Brise, und der Himmel war immer noch grau schattiert. Keine Aussicht auf Sonnenschein. Als sich Sylvie mit Surfbrett und Segel auf den Weg machte, begleiteten wir sie. Obwohl mir ein Spaziergang lieber gewesen wäre, legte ich mich neben Max auf die Strandmatte. Wir beobachteten unsere hübsche Freundin, wie sie sich bei dem mäßigen Wind damit abkämpfte, das Segel aufrecht zu halten. Das gelang ihr immer nur für ein paar Sekunden, bevor das mächtige Teil auf die Wasseroberfläche klatschte, Sylvie mitriss und vom Brett zog. Es war langweilig und traurig, ihr bei dieser unglückseligen Unternehmung zuzusehen. Schließlich schaute ich weg und beobachtete einen anderen – ebenso hoffnungslosen – Versuch die kleinste Windböe zu nutzen: Farbig schwang sich ein Drache im steilen Flug hinauf, dann stürzte er wieder abwärts. Noch einmal hoch, dann wieder runter. Bis zum ruhigen Verweilen, worauf völlige Stille folgte. Auch Sylvie gab erschöpft auf, und wir kehrten zum Campingplatz zurück. Später lagen wir schweigend nebeneinander im Zelt. Was hatten wir uns nur dabei gedacht? Franziska Lachnit (2020)

Fantasie ist böse

Immer wenn Großvater lobend erwähnte „Du hast ja eine tolle Fantasie!“, dann erwiderte der Kleine kurz und knapp: „Ich habe keine Fantasie!“ Das behauptete er, obwohl er die lebendigsten Bilder und lustigsten Wortneuschöpfungen zustande brachte sowie ein selbst erfundenes „Spielspiel spielte“. Als man ihn schließlich einmal fragte, warum er glaubt, keine Fantasie zu haben, erklärte er: „Fantasie ist böse.“ Warum er dieser Meinung war oder wo er dieses Statement aufgeschnappt hatte, konnte oder wollte er allerdings nicht sagen. Inzwischen, als Erwachsener, hat er diese Ansicht wohl relativiert oder gar verloren.

Allerdings stellt sich bei mir langsam eine Ahnung davon ein, warum man Fantasie als böse empfinden kann … Ob meine Gedanken mit denen eines kleinen Kindes zu vergleichen sind, wage ich zu bezweifeln. Dennoch muss ich wieder häufiger an die Anekdote des Jungen zurückdenken. Ich ertappe mich oft dabei, wie ich aus alltäglichen Szenarien oder Bildern haarsträubende, gruselige Geschichten erfinde: Vor ein paar Tagen bemerkte ich beim Duschen zufällig, dass sich hinter einer Fliese der Duschkabine – nur hinter einer! – ein Hohlraum befindet. Sofort hatte ich die Idee, dass der Fliesenleger dort etwas deponiert haben könnte.

Vielleicht eine Mordwaffe oder ähnlich Brisantes. Tatsächlich ist das eher unwahrscheinlich! Ein spontanes Hirngespinst. Genauso wie bei dem irgendwo abgestellten, verwahrlosten Wohnwagen, der mich zu einer Geschichte von Diebstahl, Drogen und Tod inspirierte. Es macht mir insgeheim Spaß, hinter normalen Erscheinungen etwas Geheimnisvolles, Kriminelles und somit Besonderes zu sehen. Das allein wäre vielleicht nicht so schlimm, aber dabei entwickeln sich auch leicht paranoide Tendenzen … Eine böse Sache also … diese Fantasie! Franziska Lachnit (2020)

Geschenkt

Heute habe ich meinen Pickup gewaschen. Einen dunkelroten „Chevy Cameo“. Tolle Karre – echt irre! Geschwungene Formen; Spiegel, Stoßstangen und Zierleisten – alles verchromt. Alles „Vintage“, wie man heute so sagt. Große Ladefläche und im Cockpit ausreichend Platz für mindestens drei, vielleicht sogar vier Personen. Echt tolle Karre! Dieses Auto war schon lange mein Traum.

Zusammen mit dem Traum nach Unabhängigkeit, einem einfachen Leben auf weitem, ursprünglichem Land … Bei meinem Pickup kann ich die Türen und die Ladeklappe öffnen, aber ich kann mich leider nicht hineinsetzen und entspannt das Lenkrad schwingen, um über das weite Land zu streifen. Mein Pickup ist ein Spielzeugauto – „Made in China“ – gerade mal 14x 6x 6 cm groß. Und nur durch meine Wunschträume gewinnt es manchmal eine reale Größe und Funktion. Immerhin wurde mir mit diesem kleinen Spielzeugauto ein Herzenswunsch zumindest teilweise erfüllt!

Und das auf zauberhafte Art: Mein Sohn verfügte in seinen Jahren als Kindergarten-Knirps über einen wahrhaft großen Fuhrpark an Spielzeugautos und Baustellenfahrzeugen. Auf dem „Straßenteppich“ – in Kitas und Wartezimmern von Arztpraxen sehr beliebt – ließen wir die Autos kreisen. Hier wurde eine Baustelle eröffnet; dort pesten die Sportwagen. Immer wieder kamen andere Automobile ins Spiel. Auf einmal hielt ich den dunkelroten Pickup in Händen und ließ leise verträumt verlauten „So ein Auto hätte ich gerne!“ – „Mama, das schenke ich Dir; Du kannst es haben!“ Wow! Geschenkt … der Pickup … einfach so! In dem Moment war es egal und ist es heute noch, dass es nur ein Spielzeugauto ist. „Made in China“ – Was soll’s?! Dieser Pickup war ein besonderer Wunsch, der auf besondere Weise in Erfüllung gegangen ist. Franziska Lachnit (2019)

Happy

„Ich Herr Müller“, stellt sich der thailändische Reiseleiter vor. Natürlich heißt er nicht wirklich so. Er glaubt nur, dass sich seine deutschsprachigen Gäste diesen alltäglichen Namen besser merken können. Herr Müller hat offenbar einen lustigen Charakter, was er mit einem regelmäßigen „Höhöhö“ unterstreicht. Dabei verzieht sich das Kreisrund seines Gesichts zu einem Ausdruck, den man als verschämt-verschmitzt bezeichnen könnte. Seine Augen sind dann von kleinen Falten umkräuselte Striche, sein Mund wie von Zitronensaft zusammengezogen.

Herr Müller ist pensionierter Grundschullehrer, der immer noch gerne sein Wissen mitteilt und deshalb einmal im Monat als Reiseleiter unterwegs ist. Zwei Wochen lang begleitet er die Gäste durch seine Heimat – das Land des Lächelns. Eigentlich könnte man es auch das Land der Tempel und Buddhas nennen. Winzigste Dörfer präsentieren prachtvolle Tempel. Und jeder Tempel bietet Unterkunft für den weisen Buddha in allen Variationen: sitzend, liegend, stehend, gehend. Meistens mit Gold verziert.

„Oh wow! – So schön!“, ruft Herr Müller bei diesen Anblicken aus. Jeden Tag versucht er seiner Reisegruppe die Thai-Mentalität näher zu bringen: „Wir leben modern, aber wir denken traditionell.“ Das kommt pragmatisch, aber auch sehr sympathisch daher. Dahinter steckt nicht zuletzt der konstruierte Glaubensmix aus Buddhismus und Hinduismus gewürzt mit chinesischen Geistergestalten.

Die Basis für all das ist grenzenlose Toleranz und / oder biegsame Flexibilität der Thailänder. Auf jeden Fall meint Herr Müller: „Alles kein Problem für Thailand!“ – Bewundernswert! Kein Problem scheint auch das Chaos im Straßenverkehr zu sein: „Thailänder fahren, wie Fische schwimmen.“ Ebenfalls ein Wunder! Herr Müller sagt dazu: „Hauptsache kein Unfall!“ Doch als wichtigste Lebensweisheit gilt: „Hauptsache Frau glücklich!“ – „Dann alle happy!“ Franziska Lachnit (2019)

Oh, ein Bach!

Genau! Der Ohbach. Es war Winter, als ich ihn „entdeckte“. Außergewöhnlich kalt und schneereich. Der Bach wurde von Eis bedeckt und mit gefrorenen Wasserperlen geschmückt. An manchen Stellen sprudelte das quirlige Wasser durch die Eisdecke. Ein malerischer Anblick: Eis, Schnee und plätscherndes Wasser glitzerten um die Wette im winterlichen Sonnenschein. Inzwischen gehört der Ohbach zu den Selbstverständlichkeiten meines Lebens.

Jeden Tag folge ich ein Stückchen seinem Lauf. In diesem Sommer sah er sehr müde aus. Höchstens handbreithoch tröpfelte das Wasser bachabwärts. Die Steine wurden nur teilweise umspült oder lagen ganz im Trockenen. Dieses kümmerliche Rinnsal nutzten die Wildschweine als Pfad geradewegs aus dem Wald in den Ort. In heimlichen Attacken eroberten ganze Wildschweinfamilien des Nachts die umliegenden Grünflächen. Rechts und links unseres Bächleins versanken Gärten und Wegesränder im Chaos tiefer Furchen.

Der extrem trockene Sommer hatte den wilden Schweinen zugearbeitet, und der kleine Bach wurde zu ihrem Highway. Endlich begann es hin und wieder zu regnen. Nur gelegentlich und nur in kurzen, aber oft heftigen Gewittern. Futter für den Ohbach! Der Besuch aus dem Wald blieb nun aus. Stattdessen gab’s wieder genug Wasser für Fische. Ein paar Felchen … oder … ich weiß nicht was … tummelten sich fröhlich im klaren Nass. Dann kam Dauerregen.

All der Regen, der im Sommer nicht gefallen war, prasselte nun tagelang. Als sich schließlich die dunkelgrauen Wolken verziehen, wage ich mich aus dem Haus: Was rauscht denn so laut? – Mit mächtigen Wassermassen tost unser Bach. Kein Stein, kein Fisch ist zu sehen. Ein Wildschwein würde glatt ertrinken. Denn der Ohbach schlämmt jetzt alles, was er tragen kann, ins Tal hinab. – Bald schon steht der Winter wieder vor der Tür. Und welches Bild mag uns dann der Ohbach malen? Franziska Lachnit (2019)

Popelgeschichten

 Vielleicht ist das Nasebohren ein sehr intimes und leicht ekeliges Thema, aber genau deshalb trägt jeder seine ganz geheimen Popelgeschichten mit sich herum. Zumeist stammen sie aus der Kindheit, nehme ich an. Jedes Kind lernt schnell, dass die Popel zunächst in der Nase bleiben sollen, um diese bei einem vornehmen Schnäuzen ins Taschentuch loszuwerden.

So der Wunsch der Erwachsenen. Aber jedes Kind popelt stattdessen mit Hingabe in der Nase. Ist Nasenloch Nummer eins ausgeräumt, freut man sich, dass die Nase noch eine zweite Fundgrube hat. Hurra! Und nun? Wohin mit der klebrigen Beute? Da man eigentlich nicht in der Nase bohren darf, müssen die Rotzklümpchen an einem geheimen Örtchen versteckt werden. So entstehen im Laufe der Zeit erstaunliche Popelsammlungen. Viel nachhaltiger jedenfalls, als die Popel einfach zu futtern! – Was natürlich noch viel mehr verboten ist, als das Nasebohren!

Bei der Wahl des Popelverstecks stehen der Kinderphantasie selbstverständlich alle Wege offen. Mein kleiner Bruder und ich klebten unsere Prachtstücke heimlich an die Unterseite eines Regalbrettes am Kopfende unserer Betten. Dort konnten sie wunderbar trocknen und für eine Kinderewigkeit erhalten bleiben. Mein Nachwuchs fand ein weniger verborgenes Versteck: Sie rieselten ihre Rotzkrümel in die Polsterritzen des Sofas. Dort entdeckte ich sie schnell und hob diese Schatztruhe regelmäßig mit dem Staubsauger aus.

Kinder lieben ihre Popel! – dachte ich. Deshalb müssen sie versteckt werden wie ein Schatz! – dachte ich. Aber neulich begegnete mir unser Nachbar mit seiner kleinen, pfiffigen Tochter auf den Schultern. Nachbar und ich verloren uns in einem Gespräch, bis die Kleine ihrem Papa den Zeigefinger vor die Nase hielt: „Papa, ich habe einen Popel.“ – „Gut, dann halte ihn einen Moment fest.“ – „Papa, ich brauche den Popel aber nicht.“ – Ist das zu fassen? Franziska Lachnit (2019)

Inselparadiese

Eine Wasserratte bin ich wahrlich nicht. Festen Boden unter den Füßen zu haben, verleiht mir das Gefühl von Vertrauen und Sicherheit. Wasser birgt für mich etwas Gefährliches. So sind meine schlimmsten Albträume von Wasser durchtränkt. Dennoch genieße ich den Anblick auf das wogende Meer, das Fließen des Flusses oder den spiegelnden See. Das erfüllt mich mit einer Mischung aus Entspannung und Abenteuerlust. Kein Wunder also, dass ich mich gerne auf einer Insel aufhalte.

Rings um mich ist Wasser, aber fester Boden ist unter mir. Ein paar wunderbare Inseln dieser Erde habe ich kennengelernt: La Gomera. Spröde begrüßt sie den Besucher, und erst nach ein paar Tagen freundeten wir uns an. – Madeira. Ein Wanderparadies von beeindruckender Vielfalt. Wasser ist allgegenwärtig. Leise plätschert es durch die Levada, tröpfelt von Felswänden und schießt als Wasserfall über die Straße. Am liebsten glotze ich dort auf’s Meer: Bleiern wabert der endlos erscheinende Atlantik im Sonnenuntergang und weckt Fernweh. In dieser Ferne treffe ich auf Hawaii.

Der Wunschtraum eines jeden. Und tatsächlich wunderschön! Zu schön – für meinen Geschmack. Also begebe ich mich in andere Gefilde meiner Sehnsucht: Vancouver Island. Gigantische Wälder. Nebel, der abends in die Bucht schleicht und sich morgens erhebt, um wieder den Blick auf Wasser, Berge und Himmel freizugeben. Hier möchte ich bleiben. Für immer. Aber dann erlebe ich Island: Wilde Schönheit!

Der Wind spielt ideenreich mit dem Wasser: Flüsse fließen plötzlich in die falsche Richtung, Wasserfälle streben aufwärts, und Wellen hüpfen über Land. Die Natur zeigt, was sie drauf hat. Mir gefällt das. Wieder zu Hause, suche ich erneut den Weg zum Wasser und lande auf unserer Insel. Kein Wasserfall, und der Rhein fließt niemals rückwärts, aber wunderschön ist es hier. Vielleicht am allerschönsten?! Franziska Lachnit (2019)