Vergessene Berufe

Es war einmal der Milchmann. Und der Eiermann. Davon habe ich bereits erzählt. Aber es gab auch mal den Mann an der Pfandflaschenannahme. – Eine Legende aus unserer Jugend, nach der ich mich just heute innig zurücksehnte, weil der Pfandflaschenautomat meine Flaschen nicht haben wollte.

Obwohl ich sie doch in genau diesem Geschäft gekauft hatte. Und es gab mal den Rentner, der – für ein Zubrot – pflichtbewusst die Einkaufswagen am Supermarkt so schob, dass sie gleichmäßig verteilt waren. Diesen Einkaufwagen-Sortierer vermisse ich sehr. Hat er doch immer darauf geachtet, dass es kein Ungleichgewicht in den Einkaufswagen-Garagen gab.

Er sorgte stets für eine vernünftige und kundenfreundliche Verteilung der Karren. Heutzutage scheint es diese hilfreiche Organisationskraft nicht mehr zu geben.  Als Supermarkt-Kunde muss man zu allererst darauf achten, wo man sein Auto abstellt. Wer nicht aufpasst, ist schnell von einer wachsenden Einkaufswagenschlange verbarrikadiert. Viele Manöver braucht man dann, um sich zu befreien.

Man parkt also besser ein bisschen abseits. Und dann die Wege, die der Kunde einkalkulieren muss, wenn er Leergut mitbringt. Ich selbst bin zum Glück noch gut zu Fuß, aber wie ergeht es denjenigen, die es nicht sind? Folgendes Szenario: Der Kofferraum spuckt das Leergut aus: 3 Wasserkisten, 1 Bierkiste und eine dicke Tasche mit Einzelflaschen. Das trägt man nicht mal eben zum nächsten Einkaufswagen.

Den muss man jagen! Bei jedem Besuch im Supermarkt denke ich sehnsüchtig an den alten Mann, der vormals die Einkaufswagen sinnvoll arrangierte. Wo ist er? Wegmodernisiert? Oder hatte er keine Lust mehr auf seinen Job? – der doch so sinnvoll ist! – aber nun zu den vergessenen Berufen gehört. Und oft denke ich beim Einkaufen: „Ich komme erst wieder, wenn der alte Mann da war, um die Einkaufswagen zu sortieren!“ Franziska Lachnit (2018)

Fußball-WM 2018

 Was unser verehrter Chefredakteur und Verleger schreiben kann, kann ich gelegentlich auch – nur anders: In diesem Fall über Fußball. Die blamable Pein für unsere Nation liegt nun lange genug zurück, und die verletzen schwarz-rot-goldenen Herzen sollten halbwegs wiederhergestellt sein. Jetzt gilt es, die Sympathien gleichmäßig zu verteilen. Ich halte und schreie ausschließlich für europäische Mannschaften.

1. Achtelfinale also Frankreich – Hurra! 2. Achtelfinale für Portugal – Oh je! Und dann kam das erste Dilemma: Spanien gegen Russland. Hierbei schlug mein vernarbtes Herz eindeutig für den Gastgeber. Der hat die Fans aber extrem auf die Folter gespannt. Verschlafen geht diese Elf in die erste Halbzeit, kassiert das erste Tor und wacht erst richtig auf, als sie mit einem Strafstoß den Ausgleich erzielt.

Dann wurde diese Partie spannend wie ein Flitzebogengefecht. Und am Ende habe ich gejubelt, als wären die Schwarz-Rot-Goldenen noch im Spiel! Irgendwohin muss man sein Herz ja hängen. Nächster Zwiespalt: Kroatien versus Dänemark. Die rot-weiß Karierten haben sich bisher in guter Verfassung gezeigt. Während die rot-weiß Gekreuzten eher mein Herzensfavorit sind – den Familienurlauben und unserem ehemaligen Bambini-Trainer geschuldet. Ich kann es nicht ertragen und ziehe vorzeitig die Bettdecke über den Kopf … Letztendlich weine ich Tränen.

Die der Trauer für Dänemark und die der Freude für Kroatien. Nächstes Spiel steht unter dem Motto: Immer gegen den Favoriten! – Pech! Brasilien weist Mexiko in die Schranken. Dann spielt mein heimlicher Star Belgien (eine passende Blumenkette habe ich ja schon!) gegen die Ameisenarmee Japans. Wäre deren Torwart weniger Ameise und mehr Bär, hätten die Belgier alt ausgesehen. Glück gehabt – in letzter Minute! Und heute? Dienstag, 3. Juli 2018. Schweden und England jubeln! – und ich auch. Aber wer das liest, kennt bereits die Fortsetzung. Franziska Lachnit (2018)

Montags in der City

Das Wochenende ist schon wieder vorbei. Die Hamsterkäufe von Freitag aufgebraucht. Ich gehe also in die Innenstadt, um die häuslichen Vorräte aufzufrischen. Was ist das? Mein Haus- und Hoflieferant für Gemüse & Obst hat sich ganz galant für zwei Monate in den Urlaub abgeseilt. Was nun? NETTO? – definitiv keine Alternative! Ich finde mich also damit ab, in den nächsten Wochen ohne Gemüse zu kochen.

Ein bisschen betröppelt gehe ich durch die Fußgängerzone … Ich könnte mir zur Entschädigung eine Flasche Wein mit nach Hause nehmen! Nee, klappt nicht! Der Weinhandel hat montags geschlossen. Vielleicht einen tröstenden Kaffee am Marktplatz? Ach, schade – auch geschlossen. Jetzt wäre ich doch tatsächlich für einen Frust-Klamotten-Kauf bereit! Klappt auch nicht. Die Damenbekleidungsboutique meines Vertrauens hat offensichtlich montags geschlossen.

Die Post hat geöffnet, und ich bin schon beinahe selig. Auf jeden Fall sehr dankbar, dass ich mein Einschreiben auf den Weg schicken kann. Doch als ich einen Abstecher zu meinem Autohändler machen möchte, stehe ich wieder vor verschlossenen Türen: Mittagspause. „Bin ich echt so spät dran?“ Also – wird mir daraufhin bewusst – befinden sich auch die freundlichen Mitarbeiter der Sparkasse zu Mittag, so dass ich meine Serviceanfrage ohne Antwort wieder mit nach Hause nehmen muss.

Vielleicht könnte ich selbst eine Pause einlegen und mich mit hausgemachter Pasta verköstigen lassen? Fehlanzeige! Montags Ruhetag! Desillusioniert, beinahe frustriert brauche ich jetzt unbedingt ein Erfolgserlebnis. „Etwas zum Genießen wäre genau das Richtige!“, denke ich und finde tatsächlich ein passendes Geschäft, das geöffnet hat. Mit einer Flasche Sekt in der Tasche bummel ich heim. Die Vorfreude auf deren Verzehr stimmt mich positiv und gelassen. Dann komme ich eben am Dienstag wieder in die City! Beschwipst nimmt dieser Montag seinen weiteren Lauf. Franziska Lachnit (2018)

Am Ende des Tages

So ein verkorkster Tag! Als ich in aller Herrgottsfrühe aufwache, ist der Himmel klar und verspricht einen knalligen Sonnenaufgang. Der kommt, aber mit ihm auch ein heftiger Wind. Seltsam warm und in Böen frisch. Er bringt Wolken. Erst vereinzelt, dann eine geschlossene Decke. Zuerst dringt noch die Sonne grell hindurch, dann beginnt es zu regnen. Ein tropisch anmutender Regen.

Ich verkrieche mich in meine Hütte und glotze desillusioniert aus dem Fenster. Ich lese Nobelpreisliteratur, was mich aber nur noch mehr in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit treibt. Meine Gedanken flutschen immer wieder aus ihrer Bahn und scheitern im Nichts. Mein Schreibpapier bleibt jungfräulich. Als einzigen Erfolg des Tages verzeichne ich die Gefangennahme von fünf Fliegen zwischen Fensterscheibe und Insektennetz.

Fünf von zehn Fliegen, die mich schon seit Tagen piesacken. Leider kann ich jetzt das Fenster nicht mehr öffnen, ohne sie wieder zu befreien. Schließlich schenke ich mir ein Glas Wein ein. Kuschel mich in die Wolldecke. Und lese mal was anderes: „Der Jesus vom Sexshop – Stories von unterwegs“ von Helge Timmerberg. „Ein gewagter Titel“, denke ich. Aber mit jeder gelesenen Story kann ich mich gelassener in das Schicksal dieses verkorksten Tages fügen.

Nach jeder Story fülle ich mein Glas wieder mit Wein und werde langsam glücklich. Helge T. – unbelastet vom schweren Geist eines Nobelpreises – erzählt wunderbar entspannt, schön lebendig und mit viel Humor. Er nimmt mich mit. Heraus aus meiner traurigen Hütte, hinein in große Abenteuer: Auf eine listige Taxifahrt im Heiligen Land. Zum Goldrausch am Amazonas und zum Slibowitz-Contest in Belgrad.

Auf Hemingways Spuren in Havanna (wieder grüßt der Nobelpreis!). Und zum Sexshop in Hamburg, wo uns tatsächlich ein wahrer Christ  begegnet. Danke, Helge T.! Du hast meinen trüben Tag am Ende doch noch ins Licht gerückt. Franziska Lachnit (2018)

Naturhaus

Alles, was man schafft: Man gafft. – Endlich ist es wieder soweit: Meine jährliche Kreativ-Woche im Naturhaus auf dem Land steht bevor: Eine Kiste, gefüllt mit Büchern, Schreibmaterial, Wanderschuhen und ein paar CD’s begleitet mich. Für die Nächte habe ich mich mit Nelkenöl bewaffnet, um nicht von Mücken zerfleischt zu werden. Bei verheißungsvollem Sonnenschein erreiche ich mein Ziel und richte mich häuslich ein.

Dann lasse ich den Sektkorken knallen, heiße mich selbst herzlich Willkommen und proste auf die kommenden Tage. Genüsslich lehne ich mich in den Halbschatten und schaue, was sich um mich herum abspielt: Eigentlich nichts. Und das tut erstaunlich gut. Ein paar Vögel stiefeln durchs Gras vor dem Haus – immer mit vorsichtigem, aber auch neugierigem Blick auf mich gerichtet. Andere Vögel flattern aufgeregt in den Baumkronen oder in geheime Schlupfwinkel unter dem Dach.

Viele Fliegen schwirren heran und begutachten mich mit nerviger Aufdringlichkeit. Ich versuche, ihre Annäherung gleichmütig zu dulden – es fällt mir schwer. Fliegen wollen ja auch immer alles: Deinen Schweiß, deinen Wein, dein Käsebrot … und ganz nebenbei auch ein bisschen vom Kuhfladen auf der Weide. Verschwindet! Lasst mich alleine in meiner ländlichen Lethargie! Ich will schauen – mehr nicht.

Plötzlich sprintet ein Schaf, gefolgt von der Hütehündin, durch mein Blickfeld. Das Schaf ist unerwartet sportlich. Dennoch wird die Hündin das Schaf wieder an seinen angestammten Platz treiben. Armes Schaf! – gescheiterter Ausreißer. Langsam schleicht eine Ahnung von Dämmerung heran, die die Lider schwer macht und zur Bettruhe ruft. In dieser Nacht schrecke ich orientierungslos aus dem Schlaf. Dann verrät mir der Himmel mit einem Hauch von Helligkeit, wo ich bin und dass es auf Mitsommer zugeht. Entspannt lasse ich mich wieder ins Kissen fallen – zurück zu den Bildern meiner Träume. Franziska Lachnit (2018)

„Stadtneurotiker“

Wie Recht hatte Woody Allen! In der Stadt wird man neurotisch. Unausweichliche Enge, aufdringliche Helligkeit der von Laternen beschienen Nächte und die tagein-tagaus herrschenden Geräusche. Ganz schlimm wird es, wenn man dem Geruch der anderen nicht mehr entfliehen kann: Das typische, überdosierte Aftershave alter Männer; schlimmstenfalls im Zusammenspiel mit dem Duft der trockenen Mottenkugeln, die ihre Ehefrauen zwischen die Wäsche gestopft haben.

Das ist der Geruch, den das abrückende Leben noch übrig hat. Und dann die Raucher, die ausgerechnet vor meinem offenen Fenster ihre heimliche Zigarette rauchen, während ich die morgenfrische Luft atmen möchte. Restaurants, eines neben dem anderen, dünsten ihre nicht immer appetitlichen Dämpfe in die Atmosphäre. Mülltonnen am Straßenrand zwingen den Passanten, zu erfahren, was der Nachbar in der letzten Woche konsumiert oder an seine Katze verfüttert hat. Hunde hinterlassen einen feuchten Mief im Treppenhaus.

Hunde! – nicht nur durch die Nase, auch durch das Ohr bedrängen sie einen mit ihrem Geltungsbedürfnis: Hallo! HIER bin ich! Hallo hörst Du mich? Wau Wau Wau! In diese Aufmerksamkeitsrufe stimmen dann sämtliche Hunde der Nachbarschaft ein und schaukeln sich gegenseitig auf. „Bitte, bitte haltet euer dummes Hundemaul!“ Äußerst beschämend sind die Gespräche der Mitmenschen, deren ungewollter Zuhörer man oft wird.

Ich will diese Nähe nicht! Und nachts, wenn man endlich den letzten Rest vom Weltfrieden genießen möchte, dann gehen überall Lampen an. Es wird hell. Man kann kein Auge zumachen. Ich kann also nicht schlafen. Aber in den Sternenhimmel kann ich mich auch nicht versenken: Alles rundherum ist so beleuchtet, dass der Himmel lediglich wie ein fadenscheiniges, dreckiges Bettlaken aussieht. Überall und immer wird einem mit voller Wucht bewusst gemacht, dass man nicht allein ist. Beleuchtet, bedrängt, beschallt, geruchsintensiv belästigt und letztendlich beobachtet. Franziska Lachnit (2016)

Baustelle

„Mama! Babba!“ – Babba soll heißen Bagger. Der kleine Mann steht an der Wohnungstür und drängt Mama, wieder mit ihm zur Baustelle zu spazieren. Zum dritten Mal heute. Keine Chance für Mama, diesem Drängen zu entkommen. Also schnappt sie den Kleinen und packt ihn in den Kinderwagen.

Die Straße bergan und dann links – dort ist die begehrte Baustelle. Zwei große Bagger, zwei LKWs, Minibagger und Radlader sind in Aktion. Die beiden großen Bagger stehen sich gegenüber, zwischen ihnen ein tiefer Graben. Mit Präzision und geschmeidigen Bewegungen löffelt der eine Bagger Erdreich aus dem Graben heraus, während der andere Bagger Sand hineinfüllt.

Dort, wo ausgelöffelt wird, müssen die Grabenwände mittels Verbauten gesichert werden. Diese riesigen, eisernen Wände baumeln an einer grobgliedrigen Kette vom Baggerarm herab und werden in den Graben gesteuert. Mit seinem Löffel und gezielter hydraulischer Kraft drückt der Bagger den Verbau fest.  Nun können alte Rohre entfernt und die neue Kanalisation installiert werden.

Ist das erledigt, löffelt der Bagger diesen Teil des Grabens wieder zu und entfernt hievend die Verbauten. Gleichzeitig fahren LKWs den Abraum weg beziehungsweise schaffen auf der anderen Seite Füllmaterial heran. Das alles ist eine wunderbare Choreographie. Für den kleinen Mann spannender als die Sesamstraße!

Für Mama der Einblick in eine neue Welt und der Beginn einer Leidenschaft. Inzwischen sitzt der Jung‘ nicht mehr im Kinderwagen, sondern bald als Fahrschüler am Steuer eines PKWs. Für Babba beziehungsweise Bagger hat er kein Auge mehr. Aber die Mama bleibt immer noch an jeder Baustelle stehen, schaut versonnen in die Ausschachtung und beobachtet verträumt den Tanz der Bagger. Franziska Lachnit (2018)

Zweikampf

Auf dem Mekong 

Wir tuckern über das lehmig braune Wasser des Mekong, mit einer angenehmen Brise des Fahrtwindes im Gesicht. Wasserhyazinthen treiben in kleinen Büscheln dahin sowie leider auch Abfall. Der Mekong ist machtvoll wie ein Mythos. Wasser, wohin das Auge blickt; Grün überwuchert die Ufer in der Ferne, und Menschen fügen sich hinein. Wir steuern gemächlich in den schwimmenden Markt.

Die Bootsdichte nimmt spürbar zu, und die Luft wird stickig von den Abgasen der Dieselmotoren. Was die einzelnen Händler anzubieten haben, hängen sie deutlich sichtbar an einen Mast: Süßkartoffeln, Melonen, Ananas, Kohl, Kokosnüsse usw. Wir sind hier unbeteiligte Zuschauer, bis plötzlich ein Händlerboot auf uns zusteuert und ein zweites uns ebenfalls ins Visier nimmt.

Unser Kapitän bleibt gelassen und fährt stoisch weiter. Die beiden kleinen Händlerboote kollidieren, so dass weder das eine noch das andere an uns anlegen kann, um Ware an uns zu verticken. Sie drehen ab. Aber damit ist die Angelegenheit nicht erledigt! Während wir unseren Kurs halten, kurven die Händler in einem großen Bogen um uns herum, und beginnen ihren Zweikampf: Man kreist umeinander; laut schimpfend. „Gleich schmeißt einer eine Kokosnuss!“ lautet unsere Prognose.

Die Männer steuern ihre Boote immer wieder im Kreis aufeinander zu; die Frauen beschimpfen sich hasserfüllt. Und, siehe da, jetzt fliegt tatsächlich die erste Kokosnuss! Einmal mit Werfen angefangen, fliegt nun eine Kokosnuss nach der anderen durch die Luft, und die meisten landen platschend im Wasser.

Welche Verschwendung! Der Höhepunkt ereignet sich, als eine der keifenden Rivalinnen ihre Hand wild über ihr Herz kreisen lässt und dabei anscheinend einen Fluch ausruft; glühender Hass versengt ihre Augen. Daraufhin wird abrupt der Kampf abgebrochen, und man tuckert seines Weges. Wir bleiben sprachlos zurück. Franziska Lachnit (2018)

Geschichten

Solche Geschichten schreibt nur das Leben: Christian S. machte sich zusammen mit einem Kumpel und einer kleinen Birke von Niederkassel auf den Weg nach Bad Honnef. Seiner Herzdame wollte er einen Maibaum setzen. Zunächst versteckten die Jungs den Baum im nahegelegenen Gebüsch, um ihn später bei Nacht und Nebel endlich zu schmücken und an der Laterne vor dem Haus der Liebsten zu befestigen.

Die Freude am 1. Mai war riesig und überstieg die Größe des Bäumchens um Längen. Fröhlich flatterten die bunten Bänder im Wind, und ein rotes Herz strahlte vor lauter Zuneigung. Doch eines Morgens der Schreck: „Der Baum ist weg!“ Nur noch das Herz lehnte einsam am Laternenpfahl. Wut und Traurigkeit wiegelten das verliebte Mädchen auf.

Was war geschehen? – Ordnung muss sein: Dem für die Sicherheit der Laternen zuständigen Tiefbauamt wurde ein Maibaum an einer Laterne gemeldet. Das Tiefbauamt, um die Sicherheit der Laterne besorgt, beauftragte den Bauhof, den Maibaum zu entfernen. Die Jungs vom Bauhof rückten also mit Kettensäge bewaffnet aus, um die gefährdete Laterne vor dem Baum, der ja eigentlich nur ein Bäumchen war, zu retten. Wer jetzt glaubt, dass die kleine Birke im Schredder gelandet ist, irrt sich gewaltig.

Eine Vermisstenmeldung beim Bauhof: Herr K. versprach, nach dem Bäumchen zu suchen. Sollte es unversehrt sein, würde man es zurück bringen. Dieses Versprechen klang fast zu schön, um wahr zu sein. Es wurde aber tatsächlich wahr: Am Nachmittag erschienen die Jungs vom Bauhof erneut: „Wir haben hier einen Maibaum!“ lächelte der junge Mann mit dem Bäumchen auf der Schulter.

„Wohin damit?“ – So unfassbar die Tatsache ist, dass man die Sicherheit einer Laterne durch einen Miniatur-Maibaum gefährdet sieht und diesen ohne Vorwarnung entfernt, so überraschend wunderbar können aber auch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft daherkommen. Ein herzliches Dankeschön an den Bauhof! Franziska Lachnit (2018)

Opa erzählt

Wenn Opa erzählte, wurde es spannend und lustig. Spannend, weil er von skurrilen Erlebnissen berichtete. Lustig, weil er seine Geschichten stets mit Humor und Selbstironie würzte. Er konnte auch gelegentlich mit menschenfreundlichem Witz über andere Leute herziehen. Da war zum Beispiel der junge Geselle im Eisenwarenladen Köller, der etwas einfältig und zudem mit Akne gestraft war.

Opa nannte ihn – unter uns – den „Bewimmerlten“. Nach jedem Einkauf bei Eisen-Köller hatte Opa witzige Anekdoten vom „Bewimmerlten“ zu erzählen. Opas besten Geschichten waren aber die von seinen eigenen Missgeschicken. Und so berichtete er gerne und humorvoll von der Krux mit dem Regenschirm: Opa war in der Stadt unterwegs, als es zu regnen begann. Er wollte seinen Schirm aufspannen, aber der klemmte – und zwar so, dass er weder ganz geöffnet, noch wieder geschlossen werden konnte.

Opa suchte Zuflucht im Eingangsbereich des Juweliergeschäftes. Dort wollte er – geschützt vor dem Regen – den Schirm in die passende Verfassung bringen. Er bastelte an dem verklemmten Ding, als sich unbemerkt das Sicherheitsgitter des Juweliers zu schließen begann. Langsam ratterte es von oben nach unten.

Erst als das Gitter bereits auf Brusthöhe war, erkannte Opa die wahre Not seiner Situation. Immer noch klemmte der Schirm in halbgeöffneter Stellung. Aber Opa musste jetzt schleunigst zusehen, wie er sich aus der Falle befreite. Mit dem sperrigen Schirm in der Hand kroch er im letzten Augenblick unbeholfen durch die verbliebene Öffnung.Das war knapp! – Schmunzelnd habe ich heute noch das Bild vor Augen, wie mein Opa verzweifelt an seinem Schirm rupft und nur mit großer Anstrengung zurück in die Freiheit gelangt. Franziska Lachnit (2018)