Der dicke Hase

Eine kleine Geschichte aus dem Schulalltag: Jede Woche an einem Nachmittag begebe ich mich mit ein paar Grundschulkindern auf Entdeckungsreise. Wir erleben auf den Spuren großer Entdecker – Marco Polo, Christoph Kolumbus, James Cook und vieler anderer – die Erforschung unserer Erde. Mit Marco Polo, seinem Vater und Onkel unternahmen wir also eine Entdeckungsreise nach China. Wir lernten, mit Stäbchen zu essen und erfuhren vom Geheimnis der Glückskekse und der Chinesischen Tierkreiszeichen.

„In welchem Jahr bist Du geboren?“ – lautete die entscheidende Frage. Drei Kinder waren im Jahr des Hasen geboren, ein Kind im Jahr der Ratte und eines im Jahr des Schweins – ich im Jahr der Ziege. Gelächter, Kommentare, Begeisterung, aber auch Ablehnung sprudelten. Dann malten die Kinder ihr Tierkreiszeichen in ihr Reisetagebuch: Konzentriert und mit viel Sorgfalt wurde gezeichnet. Bunte Meisterwerke wurden erschaffen: Eine tolle Ratte, ein niedliches Schwein und Hasen in erstaunlicher Vielfalt.

Eines der Hasen-Bilder machte uns alle sehr neugierig:  Da war ein Wesen zu sehen, welches durchaus ein Häschen hätte sein können. Dahinter stand eine Hütte oder ähnliches. „Was ist das denn?“ – wollte ich wissen. „Das Hexenhaus.“ –  antwortete der Künstler gelassen und als wäre es selbstverständlich. „Aber was macht denn der Hase vor dem Hexenhaus?“ – „Das ist kein Hase!“ bekam ich zu hören, als müsste ich es wirklich besser wissen.

„Das ist die Hexe! Den Hasen male ich noch.“ Daraufhin entstand tatsächlich ein dicker, Garfield-ähnlicher Hase. Nun wollten wir aber hören, welche Rolle die Hexe spielt. „Die Hexe hatte den Hasen gefangen und versuchte, ihn in ihr Hexenhaus zu bringen. Sie konnte ihn aber nicht tragen, weil er ja so dick ist.“ – Tja, Pech für die Hexe und wahres Glück für den dicken Hasen! Franziska Lachnit (2018)

Schneelandung

Der Winter war noch einmal mit ganzer Kraft zurückgekehrt. In der Nacht hatte es ununterbrochen geschneit. Am Morgen schien zwar die Sonne, aber alles lag nun unter einer glitzernden Schneedecke.

Es war früh im Jahr und natürlich hatte der Winter noch alles Recht darauf, sich breit zu machen. Dennoch hatte sich in unseren Köpfen schon die Hoffnung auf einen baldigen Frühling festgesetzt, so dass der erneute Schneefall eher mit Unmut, als mit Begeisterung zur Kenntnis genommen wurde.

Als wir aus dem Haus traten, blendete das Sonnenlicht, welches sich geradezu beißend im Schnee reflektierte. Ich musste die Augen zusammenkneifen und blinzelte dann vorsichtig. Mein Blick wurde auf etwas kleines Buntes gelenkt. Dieses

Etwas hob sich fremdartig von der Schneedecke auf der Motorhaube meines Autos ab. Wieder kniff ich die Augen zusammen und blinzelte: Da war ein Schmetterling im Schnee gelandet. Ein Kleiner Fuchs. Prachtvoll hatte er seine farbigen Flügel ausgebreitet und sonnte sich.

Einerseits irritiert, andererseits verzückt freuten wir uns über diesen Frühlingsboten. Er hatte sich offensichtlich kühn aus seinem Winterversteck gewagt und war nun in eine Schneelandschaft mit Temperaturen um den Gefrierpunkt geraten. Wohl nicht der geeignete Lebensraum für einen Schmetterling! Also nahmen wir ihn mit ins Haus: Zunächst gestalteten wir für ihn ein kleines Terrarium in einem mit Nylonstrumpf verschlossenen Glas.

Aber mir gefiel es nicht, einen Schmetterling auf so kleinem Raum gefangen zu halten. Ich ließ ihn daraufhin in meinem Zimmer umherflattern, kaufte Blumen für ihn, stellte ihm Wasser und Fruchtsaft bereit. So überlebte der Kleine Fuchs einige Wochen bei uns. – Heute erinnere ich mich zwar gerne an den Besuch des Schmetterlings im Winter, zweifle allerdings an unserer vermeintlich guten Tat. Franziska Lachnit (2017)

Eine Stadt im Winter

Isolation. Typisch Winter. Ein seltsames Gefühl: Die Menschen isoliert, in ihren Häusern. In ihren Zimmern. Jeder für sich. Jeder mit seinen Gedanken, Gefühlen, Träumen … Menschen in Häusern, in Zimmern. Eigentlich nebeneinander. Eigentlich ganz nah – und doch getrennt. Isoliert.

So muss es nicht in jedem Fall sein. So muss es sich nicht unbedingt anfühlen. Aber jeder kennt doch dieses Sich-Zurück-Ziehen, wenn die Tage kürzer werden und die Grade auf dem Thermometer stetig sinken! Wir kuscheln uns ein. Wir gehen nur noch vor die Tür, wenn wir etwas zu erledigen haben – und nicht einfach so, weil es schön draußen ist. Wenn wir jetzt Bekannten begegnen, grüßen wir wie üblich freundlich, aber fröstelnd und halten uns nur noch mit wenigen Worten auf.

Es ist zu kalt, um auf dem Gehweg stehenzubleiben und ein lockeres Schwätzchen zu halten, wäre es auch genauso nett oder informativ wie noch vor ein paar Wochen. Der Sommer ist gegangen und hat die Zufallsbegegnungen mitgenommen, die uns ab und an eine spontane Einladung auf einen Kaffee oder ein Bier beschert haben. Wolkenschichten trüben nun das Licht; Nebel hüllt uns in Schwermut und schlimmstenfalls in Einsamkeit. Wir puppen uns ein. Wie ein Schmetterling vor seiner Entfaltung. Und genauso wie er warten wir jetzt schon darauf, dass das Licht sich endlich wieder erhebt.

Dass uns ein laues Lüftchen zum Leben erweckt. Und dass uns die Sonne mit ihrer ganzen Kraft emporzieht. Bis dieser Moment kommt, halten wir uns fest an dem Vertrauen, dass sich das Rad der Jahreszeiten zuverlässig weiterdreht. Aber jetzt sehe ich der frühen Finsternis zu. Wie die Sonne, eilig und heimlich untergeht, den milchigen Himmel mitnimmt und wie alles in tiefem Schwarz versinkt. Ich weiß, dass der Winter unausweichlich ist. Franziska Lachnit (2016)

Fremdgänger

Heute haben wir schon wieder einen ertappt: einen Fremdgänger; einen Untreuen.
Eigentlich ist es nämlich so, dass man zu ganz bestimmten Uhrzeiten ganz bestimmte Leute immer zuverlässig in denselben Lokalen antrifft.

Am Vormittag finden sich die rituellen Kaffeetrinker und Zeitungsleser im Café „am Platz“ ein. Sucht man bekannte Gesellschaft für sich und seinen Kaffee, so wird man hier ziemlich sicher fündig. Später, also gegen 12.00 Uhr, während ich selbst immer noch überlege, was ich frühstücken soll, sitzt der erste Biertrinker (in dem Fall immerhin alkoholfrei!) bereits auf dem Marktplatz. Selbstverständlich da, wo er immer sitzt. Und er bleibt nicht lange allein. Auch jetzt gilt: Wer Gesellschaft sucht, weiß, wohin er gehen muss, um ein vertrautes Gesicht zu treffen. Langsam wird es Zeit fürs Mittagessen. Und wie gehabt, beobachtet man, dass sich die immer selben Personen wie ferngesteuert zum immer selben Lokal bewegen. Was treibt sie so beharrlich dahin? Sture Gewohnheit?

Tiefes Vertrauen? Verzweifelte Ideenlosigkeit? Lebenslange Treue? … Wer weiß? So ca. gegen 17.00 Uhr füllt sich schlagartig und stetig die beschauliche City mit den Treuen.
Zeig mir ein Foto eines Lokalgängers, und ich sag‘ Dir, wo er sitzt! – Dachte ich. Aber seit einiger Zeit schleichen sich Fremdgänger, Untreue dazwischen: „Was macht DER denn HIER?“ … „Der isst / trinkt doch sonst IMMER da-und-da!“ Beim ersten Fremdgänger, der mir auffiel, dachte ich noch an eine Art Unfall. Aber dann häuften sich die „Unfälle“ … Ein bisschen erschrocken war ich; mein Verständnis dieser, unserer heimeligen Kleinstadt bröckelte ein wenig … aber … ganz ehrlich: Alles ist im Wandel! – und sogar ein Stammgast wechselt gelegentlich den Baum. Und das ist gut so.