Zeit

Ausschlaggebend war der Kommentar einer Bekannten in einer E-Mail: „Ich habe Fotos von Deinen Kindern auf Facebook gesehen.“ Mein Ex-Mann hatte ein paar Fotos aus seinem gemeinsamen Urlaub mit unseren Kindern gepostet. „Jetzt will ich aber mal sehen, was der Welt via Internet von meinen Kindern präsentiert wird!“ Ich wurde selbst Teil dieser World-Wide-Web-Community. Nicht so begeistert von den Bildern meiner vorpubertären Tochter im Bikini am Strand, aber – wie Millionen andere auf unserer Erde – angefixt von dieser ungeahnten Leichtigkeit der Kommunikation. Bekannte suchen und sich zu Freunden machen – noch nie ging das so einfach! Eingeschlafene Kontakte wiederbeleben – toll! So viel aus der ganzen Welt erfahren und kennenlernen – beeindruckend! Immer mehr Freunde und mehr Diese Seite gefällt mir, mehr Kommentare, mehr Posts, mehr, mehr, mehr. Eine gigantische Flutwelle brach irgendwann über mir zusammen. Atemlos und verschüttet blieb ich zurück. Meiner Zeit und einem Stück Freiheit beraubt. Statt sich tatsächlich in der Welt zu bewegen, befindet man sich wie gefesselt am PC, Smartphone oder Tablet. Mit dem Zwang, alle Nachrichten erfassen zu müssen sowie dem Drang, sich selbst permanent mitzuteilen, verlieren wir den Augenblick, in dem wir uns just in diesem Moment befinden. Wir denken, wir halten ihn fest. Aber eigentlich erleben wir ihn ja gar nicht! – sondern verpassen ihn und seinen leisen Charme, seine brüllende Freude oder seine heimliche Traurigkeit. Mittlerweile habe ich den Dieb zumindest von meinem Handy verbannt und versuche, seinen Verführungen zu widerstehen, wenn ich am PC sitze. Dennoch stiehlt er mir gelegentlich meine Zeit. Manchmal immerhin hinterlässt er brauchbare Informationen oder auch einen Augenblick, der mir einen Bruchteil der gestohlenen Zeit zurückgibt. Franziska Lachnit (2017)

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