Zwischen Krieg und Karneval

BRAUCHTUM: Die Geschichte der Löstige Geselle (Teil 1)

von Jakob Schneider

Wie kam eigentlich die Kolpingsfamilie in Honnef zu einem Elferrat? Wie war das denn 1946? Führen wir uns noch einmal die damaligen Zeitumstände vor Augen und lernen wir die Menschen kennen, die von der Idee besessen waren, einen Elferrat zu gründen und Karneval im Kolpinghaus zu feiern. Als der zweite Weltkrieg ausbrach drückten die meisten von uns noch die Schulbank; und von Karneval kannten wir nur den Rosenmontagszug 1939. Wöchentlich kamen wir zusammen in der Choralschule oder im Kreis der Messdiener und pflegten unter diesem Deckmantel die Ideale der verbotenen katholischen Jugendorganisation.

Um der Hitlerjugend wenigstens teilweise zu entgehen, fanden sich später viele von uns wieder in der Honnefer freiwilligen Feuerwehr unter dem unvergessenen Köbes Braun. Der Krieg wurde schlimmer und die Nächte furchtbarer. Bei Alarm traf sich alles, was abkommen konnte, zur Brandwache im Turm der Kirche, um gemeinsam mit Pfarrer Wüsten auf Dinge zu warten, die dann – Gott sei Dank – nicht eingetroffen sind. Kaum aus der Schule entlassen, ging es für ein Jahr in den Landdienst oder – für einige Glückliche – sofort in die Lehre. Die trotz der Verfolgung erlebten schönen Stunden im Kreise der Gleichgesinnten waren am 3.September 1944 endgültig vorbei.

Der totale Krieg und die immer näher rückende Front rief „Deutschlands letzte Hoffnung“ – die 15-und 16-jährigen – in den Einsatz. 120 Honnefer Jungen sahen sich an diesem Morgen unter 1500 anderen auf dem Siegburger Marktplatz wieder. Zwei Sonderzüge, in Köln auf dem Hauptbahnhof schon von Fliegern beharkt, brachten uns Kinder an die Front. Noch in der ersten Nachterlebten wir in Bank bei Aachen die Furie Krieg; wie gerieten in Hitlers Ardennenoffensive. Zurückflutende Panzerverbände machten in unserem Ort Halt; und die Landser fielen total erschöpft in unsere Strohlager.

Die nächsten Monate verbrachten wir, von Tieffliegern ständig beschossen oder bombardiert, beim Bau von Panzergräben und Schützenlöchern. Dabei konnten sich viele Honnefer noch nicht einmal beklagen. Sie mussten zwar härter und länger als die anderen arbeiten, hatten dafür aber Sonderposten inne. Der Verpflegungstroß mit seinem Chef Siegfried Westhoven arbeitete in zwei Schichten. Hierbei musste ich zum ersten Male in meinem Leben mit zwei Pferden umgehen.

Auch in den drei Großküchen war Honnefer Personal. Oberkoch Karl Großmann hatte alle Hände voll zu tun, um die ganze Siegkreisjugend mit anständigem Essen zu versorgen. Und dann hatten wir auch noch unseren Spieß: Paul Jonas. Man kann es als ein Wunder bezeichnen, wie Kinder, ständig von Gefahr umlauert, damals ihr Leben meisterten. Hitler ließ uns nicht mehr los. Nach dem Schanzeinsatz folgten Wehrertüchtigungslager, Arbeitsdienst, Wehrmacht und Gefangenschaft.

Mehr oder weniger weit entfernt, erfuhren wir die Besetzung unserer Heimat durch die Amerikaner. Wir damals 17- jährigen, völlig auf uns selbst gestellt, erlebten den Krieg bis zur Neige. Als ich am 20.April 1945 bei strahlendem Sonnenschein als Gefangener durch Honnef nach Kripp transportiert wurde, herrschten hier für uns unfaßbare Ruhe und Frieden. Nach einigen Wochen unglaublichen Hungers fand ich mich eines Sonntag abends entlassen und dankend, mit dem Leben davongekommen zu sein, in der Heimat wieder. Um diese Zeit kamen die meisten anderen ebenfalls zurück.

Kurz waren die Tage der Erholung und der Suche nach neuer Arbeit. Abends traf man sich wieder, zunächst in der Wohnung unseres unvergessenen Jugendkaplans Dr.Müller ,später im damaligen Pfarrheim, dem früheren katholischen Gesellenhaus.

Albert Raffauf, schon vor dem Kriege Senior von Altkolping, hatte im richtigen Augenblick den richtigen Gedanken. „Wenn wir jetzt nicht die Jugend für Kolping interessieren, ist es zu spät“.Altkolping warb und lud mit einem Rundschreiben ein.

Und am Kolpingsgedenktag im Dezember 1945 waren schon viele Interessierte bei der Feier in der Kirche zugegen. Bei den wöchentlichen Zusammenkünften im Winter 1945/46 kamen immer mehr dazu. Dabei genossen viele dankbar den vorzüglichen „Selbstgemachten“ des Altseniors, dessen volle Tabaksdose stets rundgereicht wurde. Währenddessen stochte Hauswirt Alex Ginter – immer mit einem grünen Jägerhut bekleidet – den großen Kanonenofen, der mit einer Mamorplatte bedeckt war. Für Heizmaterial sorgte Altkolping, denn es gab ja keine Kohlen.

Ein Teil der Jugend hatte sich hier gefunden und war glücklich, in diesem Haus Freizeit ohne Kommando und Gleichschritt genießen zu können. Die jahrelang entbehrte Freiheit war noch ein kleines Pflänzchen, welches von allen gehegt und gepflegt wurde, damit es sich allmählich voll entfalte.

Fortsetzung folgt

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