Der Taubenschlag

Mein Großvater hatte nicht nur einen Wohnwagen im Garten, ein Baumhaus, zahlreiche Obstbäume, eine Schaukel und einen Sandkasten, sondern auch einen Taubenschlag. Seine Tauben waren allerdings keine Brieftauben oder ähnlich wertvoll. Er hielt sie, um sie zu essen. Die ganze Familie verspeiste gerne als Sonntagsgericht Täubchen mit Semmelknödeln und Specksalat.

Abgesehen von der Haltung der Tauben diente uns das Areal um den Taubenschlag auch als Not-Toilette. Wenn wir uns im Sommer den ganzen Tag im Garten aufhielten oder wenn im Wohnwagen übernachtet wurde, dann konnte man das kleine Geschäft unter dem Taubenschlag erledigen – sichtgeschützt von einer Reihe Fichten, einem Schuppen und einer Brombeerhecke. Die Sommerferien meiner Kindheit verbrachten wir jedes Jahr mindestens zur Hälfte im Garten meines Opas.

Da war dieses Freiluftklo recht nützlich – vor allem, während der Mittagszeit, wenn meine Großeltern sich zum Ruhen hingelegt hatten und wir sie im Haus nicht stören sollten. Im neuen, quietschgelben Badeanzug verschwand ich also eines Nachmittages hinter den Fichten unter dem Taubenschlag. Hockte mich hin -konzentriert darauf, keine Pipi-Spritzer ans Bein zu bekommen und den Badeanzug nicht nass zu machen.

Da traf mich plötzlich wie ein Schlag und mit einem Klatschen ein Taubenschiss auf der Schulter. Beinahe zu Tode erschrocken, stoppte ich laut kreischend mein kleines Geschäft. Rannte heulend zu meiner Mutter. Lachend nahm sie mich in die Arme. Und mein Vater schnappte – ebenfalls herzhalft lachend – den Gartenschlauch, wusch seiner, immer noch heulenden, Tochter den Schiss von Schulter und Arm.

Nach diesem Drama positionierte ich mich beim Pipimachen unter dem Taubenschlag nur noch so, dass die Wahrscheinlichkeit, von einer Taube beschossen zu werden, möglichst gering war. Franziska Lachnit (2017)

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