Heimweh

1945. Der Krieg war endlich zu Ende. Aber nun mussten wir unsere Heimat verlassen, wenn wir nicht einen anderen Krieg oder gar die Hölle erleben wollten. Mutter veranlasste uns, die Koffer zu packen  – schnell und nur mit dem Notwendigsten. Großmutter legte in ihrer Verwirrung drei rohe Eier hinein. Meine ältere Schwester und ich, wir gaben uns alle Mühe, Mutter zu unterstützen. Unser kleiner Bruder war erst vier Jahre alt.

Er verstand nicht, was damals passierte und dass wir nie wieder zurückkehren würden. Für ihn war unsere Flucht ein Abenteuer. Für Großmutter lag das alles bereits außerhalb ihrer Realität. Und unsere Mutter übertraf sich selbst in ihrem Überlebensinstinkt. Sie brachte uns alle in Sicherheit. Wie hatte diese verwöhnte Dame das bloß geschafft? Alles wurde gut: Vater kehrte aus der Gefangenschaft zurück. Die Familie war vereint. Und schließlich baute Vater ein neues Zuhause für uns. Ich ging wieder zur Schule und in den Sportverein, wie jedes andere Mädchen. Ich machte eine Ausbildung.

Hatte eine gute Arbeitsstelle in der Großstadt. Ich stand auf eigenen Füßen! Männer spielten keine große Rolle in meinem Leben, bis plötzlich ein langjähriger Brieffreund aus Italien vor der Tür stand. Wir heirateten. Ich zog mit ihm in seine Heimat. Ich lernte seine Sprache. Ich arrangierte mich mit seiner „famiglia“. Und wurde im Laufe der Jahre schrecklich unglücklich.

Jetzt bin ich sehr alt. Ich habe beinahe alles vergessen und erkenne die Menschen um mich herum nicht mehr. Ich weiß meistens nicht, wo ich bin. Für mich gibt es nur noch wage Erinnerungen … an meine Kindheit, an Vater und Mutter … an mein Zuhause. „Vater, wo bist Du?“ – „Mutter! Mutter“ – „Ich will nach Hause!“ – Hier bin ich. In der Fremde. Allein. Und ich will einfach nur nach Hause! Franziska Lachnit (2019)

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