Manifest

Kultur, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kultur ist entbehrlich; insbesondere wenn man mal wieder zuviel arbeitet. 2 Wochen Dauerentschlafung wegen bevorstehendem Festival und weiß ich noch was haben mich zwischendurch an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gebracht. So kam es, dass ich mich denn nach gefühlten 10.000 Nadelstichen bemüßigt sah, statt meinem normalerweise gebrauchten Florett den dicken Säbel auszupacken und ein sogenanntes Manifest zu verfassen.

Ich gestehe, der 200. Geburtstag Karl Marxens geisterte wohl durch meinen Hinterkopf. Nun denn, da ich den Säbel nicht gewohnt bin, kam es wie es kommen musste, dass er mir ziemlich entglitt. Eine ursprünglich sachlich berechtigte Kritik wuchs sich zu einem mächtigen Hieb unter die Gürtellinie aus, zudem noch bei der ein oder anderen falschen Person.

Ich war selbst am meisten erschrocken, nicht so sehr über die berechtigten Reaktionen, mehr über meine eigene Wut, die sich da so unvermutet öffentlich Bahn brach. An dieser Stelle möchte ich somit ein ausdrückliches „Bitte verzeiht mir“ an alle richten, denen ich in meiner Rage blutige Wunden geschlagen habe. Den Hauptprotagonisten erwartet noch eine persönliche Verneigung in Form einer guten Flasche einheimischen Rebensaftes.

Den Säbel habe ich übrigens mittlerweile im Rhein versenkt, meine 1955er Ausgabe des 2-bändigen Kapitals habe ich meiner naseweisen und streng katholisch erzogenen Nichte geschenkt und statt gefeierten Manifesten gibt‘s ab jetzt nur noch Manilose. Vielleicht gewinn ich ja mal was, Weisheit und Gelassenheit z.B.

Ein vorletztes Wort noch an meinen geschätzten Verleger: redigieren geht über zensieren. Nu bin ich auch wieder artig statt bös, damit wegen meiner Antikonformität nicht der Honnefer Hautevolee bei Karlottas das Cremeschnittchen aus der Hand rutscht. Bis nächste Woche also, hören Sie wohl.

Und darum ging es:

R H Ö N D O R F M A N I F E S T von Helge Kirscht

GOOOOD MORNING RHÖNDORF und ja, ich liebe Rhöndorf seit 21 Jahren und ich liebe die Menschen hier (na gut, nicht alle, aber fast). Es gibt die Rhöndorfer und es gibt den Bürger- und Ortsverein Rhöndorf. Die Mitglieder dort sind zwar wahrscheinlich überwiegend Rhöndorfer aber nicht alle Rhöndorfer sind im Bürgerverein. Jaja, komm doch in den Verein, wenn du was ändern willst.

Ja, ich will was ändern und nein, ich will nicht in den Verein. Wenn du dir das Manifest zur 150 Jahr-Feier anguckst, wirst du wahrscheinlich sehen, dass in der Gründungsurkunde (übrigens vom damaligen Alterspräsidenten Alfred persönlich unterschrieben) der minutiös geplante Ablauf der Rhöndorfer Kirmes auf alle Zeiten festgelegt wurde, inklusive Musikabfolge. Den braucht Alfred jetzt nur noch aus seiner knarrenden Schublade zu ziehen, stemmt mal wieder die Monsterveranstaltung und ist der King of Kotelett. Und Neurhöndorfer, die wahrscheinlich noch nicht mal mehr aus der Schule wissen, was eine Vereinssatzung ist, lächeln über das Festprogramm, freuen sich, ein paar leckere Kölsch oder Wein mit den Altnachbarn zu metern und lassen Ihre Kinder auf dem tollen Karussell von 866 fahren.

Hauptsache, wir haben einmal im Jahr Gelegenheit, mit den Nachbarn in Kontakt zu kommen und uns 2 Stunden anzustellen, um die leckersten Reibekuchen im 7Gebirge zu futtern (… um dann am Sonntag Mittag zu erfahren, dass leider der Teig gerade ausgegangen ist). Dass du mit den akustischen Darbietungen, die dort seit Anbeginn in Dauerschleife auf hervorragend gestimmten Highclasslautsprechern laufen, normalerweise aus Tierschutzgründen noch nicht mal die Wildschweine aus dem Weinberg jagen dürftest, interessiert dann keine Sau.

Wir wollen hier keine Namen und Fakten nennen, aber würdest du in deinem Taxiunternehmen Tuctucs oder Tatas einsetzen, selbst wenn sie dir von einem Rhöndorfer Nachbarn geschenkt würden? Und 100m weiter haben wir eine wunderschöne Abstellkammer für Alfreds Lieblingskram, gegen die das Grab von Konrad auf dem Waldfriedhof belebter wirkt als der Petersplatz bei einer Papstaudienz.

Alternativprogramm: Wir haben KEINE Kirmes (SAKRILEG) und verzichten auf ein Wochenende voller abgelaufener Highlights, stattdessen gestalten und beleben wir Rhöndorfer (ob mit oder ohne Vereinstätowierung) 365 Tage im Jahr einen frisch renovierten, täglich geöffneten, vereinseigenen Raum in bester Lauflage für alle Wanderer, denen wir in modernen Präsentationen auf Bildschirmen unsere wunderschöne Heimat präsentieren könnten (für Alfred: Bildschirm findest du unter Wikipedia – für Peter: schenk Alfred mal die 26-bändige Gesamtausgabe von Wikipedia für sein Bücherregal).

Dort gibt es immer nette Menschen aus dem Ort, die gerne Pläuschchen halten und Dönekes erzählen. Dort kann man einheimische Produkte kaufen wie 7gebirgskaffee, Weinsortiment von Pieper, Broel und Siebdrat, mundgeklöppelte Klorollenhalter für die Mercedes-Ablage, Briefmarken, T-Shirts mit Rhöndorfer Motiven von den Rein-Brothers, CDs der 7 Mountains Music Night, jeden Tag kann eine der umtriebigen Rhöndorfer Landfrauen mit einem Topf hausgemachter Suppe die Kriegskasse füllen und jeden Freitag mittag vor dem Wochenende gibt es das RHÖNDORFER REIBEKUCHENMASSAKER MIT FLATRATE UND MONATSABO.

Wenn in dem gesättigten Wanderer danach der Wunsch nach einer intellektuellen Unterhaltung erwacht, so schickt man ihn nach nebenan zu der kosmopolitischen Nachbarin Milena Kunz-Bijno, eine weltweit ausgezeichnete, multisprachbegabte Künstlerin, die vom Rhöndorfer Bürger- und Ortsverein behandelt wird, dass jeder osteuropäische Wanderarbeiter vom Broel nach dem ersten Tag das Weite suchen würde, und daneben einem bundesweit bekannten, ehemaligen Spiegelreporter und Adenauerzeitzeugen, der jetzt eremitenhaft in seinem Hühnerbunker thront (Achtung Ironie) und der mit seinen Erlebnissen sicherlich Myriaden von Kindern im Erzählcafé nebenan unterhalten könnte.

Und beim Weinfest buckeln dann nicht 1 Woche die ewig gleichen 20 Hanseln unter Führung von Alfred, dem ich als Sohn sicherlich kein 50-Liter-Fass mehr aufbuckeln würde, sondern für einen Nachmittag kommen mal eben 100 Helfer aus der Nachbarschaft, scharen sich ums Fässchen, und der Ziepchensplatz steht in 2 Stunden. Vielleicht könnten wir Alfred ja dann die ehrenvolle Aufgabe übertragen, handschriftlich die 80 Rhöndorf-VISA für die Nichtmitglieder im Verein auszustellen.

Aber ich spinne nur ein bisschen rum, sorry, ihr wisst ja, dass ich seit 10 Jahren so ein Märchenerzähler bin, der sich mit Kräutern aus dem eigenen Garten versorgt und ansonsten nix auf die Kette kriegt. Zum Abschluss: Ich gestehe ausdrücklich, ich liebe Alfred Höhler, ich bin ein Fan von Alfred Höhler. Ich bin dir und deinem Rhöndorfer Bürgerverein unendlich dankbar für die oftmalige Unterstützung der 7Mountains Music Night.

Ich verneige mich vor deiner Lebensleistung und deiner unerschöpflichen Energie, nicht mitsamt dem Stuhl aus dem Schaufenster vom Heimatcafé zu kippen, und du bist eines der liebenswertesten Faktoten, die wir im ganzen Siebengebirge haben. Alfred (bitte druck ihm das ein lieber Mensch aus): wir werden dich immer in ehrendem Gedenken halten und im zukünftigen offenen Revolutionsladen werden Che Schmitzara und die Heilige Birgit d’Arc, Jungfrau von Rhönleons ein schönes Bild von dir mit Autogramm aufhängen (keine Angst, Kampfgenosse Peter ist rausretuschiert).

Lieber Alfred, das Internet ist kein Neuland mehr, wir haben den Euro, es gibt Farbfernsehen und Frauenwahlrecht, Konrad ist Ex-Kanzler, das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen ist mittlerweile so etwas wie eine Räterepublik und Alfred, es gibt menschliche Wesen. Das ist so etwas ähnliches wie Untertanen, nur ohne Wackeldackelnacken, sondern mit einem eigenen Willen. Dein Nachbar Carsten gehört zu dieser Spezies, aber Gottseidank nicht alle hier im Ort.

Und all das, Alfred, hat dein Kirmeskonzept unbeschadet überstanden. Aber Alfred, da gibt es Leute, die mögen keine 20er-Jahre Musik auf der Kirmes. Alfred, es wird ein Schock für dich sein, es gibt Leute BEI UNS IM ORT, die mögen überhaupt KEINE KIRMES. Und Alfred, es gibt Gerüchte, dass es sogar Menschen hier in Rhöndorf gibt, die wissen gar nicht mehr, was eine Kirmes ist. Kirmes? Ist das sowas wie ein Handy mit Spiralkabel und Wählscheibe? Schnickschnack.

Also nochmal: Alfred, dein Name ist in der Rhöndorfer Chronik auf immer verewigt. Jetzt hängt es an dir, ob in 150 Jahren bei Ausgrabungsarbeiten ein Archäologe noch alte Schriftrollen mit deinem Faksimile findet und sich fragt, wer wohl der Alfred war, oder ob sich tagtäglich die spielenden Kinder vor deinem Wohnzimmerfenster tummeln und singen: Alfred, wir danken dir für diesen Laden hier, wir danken dir. Oder sie singen: Don‘t you know, you‘re talking bout a revolution, it sounds like a whisper. 

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