Schulweg

Auf dem Weg zur Schule mussten wir eine unübersichtliche Bundesstraße über- und eine Bahnlinie unterqueren. Das taten wir entweder brav auf einem Umweg über die nächste Kreuzung mit Fußgängerampel oder frech und abkürzend direkt über die Straße an der Bahnunterführung. Auf dem braven Weg kam man an einem Autohaus vorbei, in dessen Schaufenstern ich bereits in jungen Jahren mein Traumauto entdeckte: Alfa Romeo Spider – knallrot! Kostenpunkt 20.000,- DM. Das setzte mir damals in gewisser Hinsicht einen Anhaltspunkt für mein späteres Einkommen (vergeblich!).

Auf dem frechen Weg erlebten wir kleine Abenteuer, die damals wichtiger waren, als ein rotes Traumauto. Meistens befanden wir uns zu Dritt auf dem Schulweg – meine Klassenkameraden Stefan und Bob und ich. Und meistens quälten die Jungs mich mit kleinen Boshaftigkeiten: Sie rupften an meinen Zöpfen. Sie zerrten an meinem Schulranzen. Im Winter stibitzen sie mir die Mütze vom Kopf. Ich hasste sie dafür. (Und trug dann ausschließlich Kapuze!) Aber wenn ich nur mit einem von beiden unterwegs war, war alles anders: Dann fühlten wir uns verbündet.

Einmal ging ich zusammen mit Bob heimwärts auf dem Bahndamm. Ich hatte Angst, dass ein Zug kommen könnte. Bob legte sich auf die Schienen und hielt sein Ohr daran: „Nein. Es kommt kein Zug.“ Konnte ich ihm trauen? Oder wollte er sich als Held aufspielen? Zwar ging ich den Weg weiter mit ihm über die Gleise, aber so wachsam wie ein Indianer. Es kam tatsächlich kein Zug. Auch eine andere verbotene Abkürzung auf unserem Schulweg verhieß Spannung und Abenteuer.

Ein schmaler Trampelpfad führte durch ein kleines, verwegenes Wäldchen, in dem sich so manche Horrorfantasie entfaltete und uns gruselige Schauer über den Rücken jagte. Irgendwie hatte ich immer erwartet, dass dort eines Tages eine Leiche ausgegraben würde. Aber das geschah zum Glück bis heute nicht. Franziska Lachnit (2018)

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