„Stadtneurotiker“

Wie Recht hatte Woody Allen! In der Stadt wird man neurotisch. Unausweichliche Enge, aufdringliche Helligkeit der von Laternen beschienen Nächte und die tagein-tagaus herrschenden Geräusche. Ganz schlimm wird es, wenn man dem Geruch der anderen nicht mehr entfliehen kann: Das typische, überdosierte Aftershave alter Männer; schlimmstenfalls im Zusammenspiel mit dem Duft der trockenen Mottenkugeln, die ihre Ehefrauen zwischen die Wäsche gestopft haben.

Das ist der Geruch, den das abrückende Leben noch übrig hat. Und dann die Raucher, die ausgerechnet vor meinem offenen Fenster ihre heimliche Zigarette rauchen, während ich die morgenfrische Luft atmen möchte. Restaurants, eines neben dem anderen, dünsten ihre nicht immer appetitlichen Dämpfe in die Atmosphäre. Mülltonnen am Straßenrand zwingen den Passanten, zu erfahren, was der Nachbar in der letzten Woche konsumiert oder an seine Katze verfüttert hat. Hunde hinterlassen einen feuchten Mief im Treppenhaus.

Hunde! – nicht nur durch die Nase, auch durch das Ohr bedrängen sie einen mit ihrem Geltungsbedürfnis: Hallo! HIER bin ich! Hallo hörst Du mich? Wau Wau Wau! In diese Aufmerksamkeitsrufe stimmen dann sämtliche Hunde der Nachbarschaft ein und schaukeln sich gegenseitig auf. „Bitte, bitte haltet euer dummes Hundemaul!“ Äußerst beschämend sind die Gespräche der Mitmenschen, deren ungewollter Zuhörer man oft wird.

Ich will diese Nähe nicht! Und nachts, wenn man endlich den letzten Rest vom Weltfrieden genießen möchte, dann gehen überall Lampen an. Es wird hell. Man kann kein Auge zumachen. Ich kann also nicht schlafen. Aber in den Sternenhimmel kann ich mich auch nicht versenken: Alles rundherum ist so beleuchtet, dass der Himmel lediglich wie ein fadenscheiniges, dreckiges Bettlaken aussieht. Überall und immer wird einem mit voller Wucht bewusst gemacht, dass man nicht allein ist. Beleuchtet, bedrängt, beschallt, geruchsintensiv belästigt und letztendlich beobachtet. Franziska Lachnit (2016)

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