Stiller Monolog eines Verlassenen

Ich gehe durch mein kleines Dorf und begegne vielen freundlichen Menschen, die sich immer gerne mit mir unterhalten. Warum spricht aber meine jüngste Tochter nicht mehr mit mir? Was habe ich falsch gemacht? – Der viel zu frühe Tod ihrer Mutter, meiner Frau schmerzte mich ebenso wie sie. Beide Töchter hatten schwere Zeiten. Ich auch! Dennoch habe ich alles gegeben, was ich als plötzlich alleinerziehender Vater geben konnte: Ich wechselte die Arbeitsstelle, um Zeit für die Kinder zu haben. Die großzügige Wohnung musste gegen ein kleines Appartement eingetauscht werden.

Und damit jedes Mädchen sein eigenes Zimmer haben konnte, schlief ich in der Küche. Ich selbst bin seitdem geschrumpft, reduzierte mich auf den Überlebenstrieb. Letztendlich habe ich das Wichtigste geschafft: Die Kinder wurden selbständig und erwachsen. Sie konnten einen Weg einschlagen, auf dem es ihnen weder an Essen noch an einem Schlafplatz mangelt. Ich bin nun alt. Reduziere mich weiterhin auf den Überlebenstrieb und halte durch. Wofür ich immer noch stark bin, weiß ich nicht. Meine jüngste Tochter hat mich verlassen.

Ohne dass ich bisher herausfinden konnte, warum sie das tat. Die Ältere ist eine gelegentliche und von ihr bestimmte Episode in meinem Leben. Beide Töchter, jede auf ihre Weise, haben mich verlassen. Das schwächt mich. Ich könnte stärker sein – oder einfach glücklich, wären sie an meiner Seite! – Meine Freunde sagen, ich sei stark! Und ich sähe gesund aus! Immerhin! Es könnte also schlimmer sein als alter, einsamer Mann! Meine Freunde sind mein Halt. Mit ihnen kann ich reden – wenn wir uns zufällig auf der Dorfstraße treffen oder zum Bier in der Dorfkneipe verabreden. Mit ihnen kann ich manchmal das Vertrauen finden, das ich mit meinen Töchtern verloren habe. In solchen Momenten kann ich sogar glücklich sein. Franziska Lachnit (2018)

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