„High Noon“ für Umorientierung

von Friedhelm Ost

Die Corona-Pandemie führt zu großen Kollateralschäden in fast allen Bereichen der Wirtschaft. Restaurants und Kneipen, Hotels und Friseursalons, Mode- und andere Geschäfte mussten gleich zweimal ihre Aktivitäten einstellen. Und die zweite Lockdown-Phase ist immer noch nicht beendet. Gewisse Lockerungen wird es in der zweiten Februarhälfte geben, für manche Bereiche jedoch erst im März. Viele Existenzen sind trotz mancher staatlicher Hilfen gefährdet. Spätestens in der zweiten Hälfte dieses Jahres muss gar mit einer Pleitewelle gerechnet werden. Ebenso zeichnet sich bereits heute ein Strukturwandel in den Innenstädten ab, der sowohl die großen Zentren als auch die mittelgroßen und kleinen Kommunen treffen wird.

Harter Corona-Schock für den Einzelhandel

Allein im traditionellen Einzelhandel gingen im letzten Jahr die Umsätze deutlich zurück, während sie im Online-Handel enorm anstiegen. Bei Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren verzeichneten die stationären Geschäfte ein Minus von  25 % und mehr.

Rund zwei Drittel der Innenstadthändler sehen inzwischen ihre Existenz in Gefahr. Nicht wenige sitzen auf hohen Beständen an Herbst- und Wintermode, manche Warensortimente liegen wie Blei in den Regalen. Den Händlern, die in der Regel nicht über allzu üppige Rücklagen verfügen, fehlt es an Liquidität, um zumindest die Fixkosten – für Miete über Energie bis hin zu Versicherungen – zu bestreiten und selbst zu überleben. Der Einzelhandelsverband befürchtet, dass bis zu 50.000 Einzelhändler in diesem Jahr endgültig aufgeben müssen.

Überfällige Umorientierung

Wer durch seine Stadt geht, steht vor den coronabedingten geschlossenen Geschäftslokalen, liest zugleich an immer mehr Schaufenstern die Mitteilung von der endgültigen Geschäftsaufgabe. Der Trend ist mehr als beängstigend. Denn mit dem steigenden Aus von immer mehr Läden drohen manche Innenstädte zu veröden. Und wo nichts mehr los ist, gehen Kunden nicht mehr hin.

So ist es „high noon“ für ein Umdenken und Umsteuern. Das Kiezkaufhaus, das per online Waren lokaler Geschäfte anbietet und den Kunden per Fahrradkurier direkt nach Hause liefert, ist gewiss eine gute Idee, die vor allem für Waren des täglichen Bedarfs, insbesondere für Lebensmittel noch stärker propagiert und realisiert werden sollte. Mit Appellen an den Lokalpatriotismus und Bürgersinn kann das Engagement vor Ort noch gestärkt werden.

Discounter entdecken die Zentren

Doch damit allein lässt sich eine Innenstadt nicht retten. In vielen Städten wird deshalb nach einem Ausweg dringend gesucht, um dem drohenden Leerstand der Immobilien vorzubeugen. So entdecken mehr und mehr Discounter die Innenstädte. Aldi Nord – bisher schon mit 2.230 Filialen – und Aldi Süd (1.917 Filialen) entdecken mehr und mehr ihre Chancen mit neuen Geschäften in der City-Mitte. Ihre neuen Innenstadtfilialen haben Verkaufsflächen von etwa 800 Quadratmetern und mehr. Dabei werden die vorhandenen Immobilien so umgebaut, dass neben dem Discounter im Erdgeschoss andere Flächen und Etagen für weitere Einzelhändler, für die Gastronomie und insbesondere auch für Wohnungen genutzt werden. Der Discounter kann in der Regel ein wichtiger Frequenzbringer sein und Lücken in der Innenstadt schließen. Wohnen in der Innenstadt dürfte sowohl für junge Singles als auch für die ältere Generation attraktiv sein. Insbesondere ist es für Senioren vorteilhaft, Lebensmittel in der Nahversorgung zu erhalten, Ärzte und Apotheken sowie Physiotherapeuten quasi „um die Ecke“ zu erreichen sowie Restaurants, Cafés oder eine Eisdiele besuchen zu können, ohne dafür erst längere Wege zu machen und mühsam einen Parkplatz zu suchen. Händler in den Zentren können ihren Kunden auch bestellte Waren direkt im Haus oder in die Wohnung liefern. Mit Freundlichkeit und Service erzielt man immer noch die gute Kundenbindung.

Neue Konzepte für die Nutzung der Immobilien

Der Druck auf die Kommunen, so schnell wie möglich die Umorientierung zu beflügeln und gemeinsam mit allen Beteiligten, vor allem mit den Immobilien-Eigentümern, zu handeln, wird immer größer. Wenn nämlich die Innenstädte nicht schnell wieder belebt werden, können sie die Corona-Krise mit Langzeitfolgen kaum erfolgreich überstehen. Der Zentrale Immobilien-Ausschuss Deutschland (ZIA) befürchtet, dass sich sonst langfristig die Kunden noch stärker dem Online-Handel zuwenden und sich sogar daran gewöhnen. Neue Konzepte müssen realisiert werden – vor allem für die gemischt genutzten Immobilien mit Wohnungen. So wurde jüngst sogar auf dem Dach eines Innenstadtgebäudes eine Kindertagesstätte eingerichtet – mit über 60 Betreuungsplätzen. Selbst der schwedische Möbelgigant IKEA wird keine „blaugelben Kästen auf der grünen Wiese“ mehr bauen, sondern mit Studios in Innenstädte gehen. Die Waren können dort ausgesucht und bestellt werden, dann ins Haus geliefert oder irgendwo von einem Lager abgeholt werden. Diesem Beispiel dürften in Zukunft andere folgen. Denn trotz Online-Handel können die Innenstädte ihre Attraktivität erhöhen und vorhandene Kaufkraft in die Kassen innovativer Anbieter lenken, wenn sie sich stärker als bisher zu einem gesellschaftlichen Zentrum für Bürgerinnen und Bürger aller Generationen profilieren. Handel war stets Wandel. Das wird auch in Zukunft so bleiben: Wer nicht mit der Zeit geht, wird mit der Zeit gehen! Das Tempo des Wandels ist zudem heute höher als jemals zuvor.

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