Franziska Lachnit unterwegs

Ich war hier … im Kaminzimmer. Hocherfreut, dass man sich in diesem Jahr für vorweihnachtliche Treffen wieder im Kaminzimmer einfinden kann, verabrede ich mich umgehend mit zwei Freundinnen. Um keine Zeit des Abends zu verschenken, machen wir uns schon um halb sechs auf den Weg. Erstmal schauen, ob noch ein Plätzchen zu haben ist … Ja! Sogar im kuscheligen 2G-Hinterzimmer. Wir lassen uns nieder.  Dann holt eine von uns den ersten Glühwein. Ich schaue mich um: Das Konzept gefällt mir diesmal sogar noch besser als zuvor, da sich mehr Sitznischen anbieten. Zwar wurde keine rustikale Holzhütte errichtet, sondern lediglich offene Zelte aufgeschlagen, aber so kann man sich trotz der Corona-Maßnahmen noch relativ frei bewegen. Sitzt man erstmal unter dem Zeltdach, fällt auch kaum noch ein Unterschied zur Hütte auf: Die Einrichtung entspricht den kühnsten Träumen eines Kaminzimmers. Großvaters Porträt prangt über dem flackernden Kamin, auf dessen Sims eine alte Uhr die Stunde schlägt und dicke Kerzen heimeliges Licht verbreiten. Hier hängt ein goldgerahmter Blumenstrauß, dort eine hölzerne Kuckucksuhr und da das obligatorische Geweih. Lichterketten und Glitzerschmuck lassen uns nicht vergessen, dass es weihnachtet. Die Sessel, Sofas, Bänke sind allesamt mit Schaffellen (oder Imitaten solcher) ausgelegt, so dass sich jeder Popo warm betten kann. Wir halten trotz der winterlichen Temperaturen lange aus. Dem Glühwein folgen ein paar Gläschen Rotwein … Uns geht’s gut. Und anderen offenbar auch, denn das Kaminzimmer ist auch an diesem Abend, dem ein Arbeitstag folgt, gut besucht. „Hallo!“ grüße ich hierhin und dahin. Am Nachbartisch halte ich kurz ein Schwätzchen. Dann zurück ins Kuscheleck. Es ist herrlich, diese gemütliche Geselligkeit in diesem Jahr wieder erleben zu können! Das geht täglich (außer sonntags) von 16.00 bis 22.00 Uhr bzw. samstags von 14.00 bis 22.00 Uhr. Und hoffentlich bis mindestens zum Jahresende!  Franziska Lachnit  

Franziska Lachnit unterwegs

Ich war hier … beim Sankt Martinszug der Sankt Martinus Grundschule in Selhof. Und zwar mitten drin! Nämlich als Begleitung einer zweiten Klasse. Diese hatte wunderbare Feuervögel zu Laternen gebastelt. Andere Schulklassen traten mit Giraffen, Eulen und ähnlich kreativen wie attraktiven Laternenmotiven auf. Wir versammelten uns gegen 18.00 Uhr auf dem Schulhof und nahmen Aufstellung. Da gab es schon ein kleines Drama: Ein Schüler befürchtete, dass ihn nach dem Zug seine Mama nicht mehr wiederfinden würde. Mit gutem Zureden konnte er vorläufig beruhigt werden. Als wir schließlich starteten, war er frohen Mutes. Auf ging’s! Trommeln schlugen den Takt an. Alles übertönend bimmelten die Kirchenglocken. Der Tross des Sankt Martinszuges ergoss sich gemächlich vom Schulgelände in die Straßen von Selhof. Vor jeder Straßenbiegung, derer es auf der Strecke bekanntlich viele gibt, staute sich der Zug. Kinder latschten sich gegenseitig in die Hacken und schubsten abrupt ihre Laternen aneinander. Alles gut! Solange kein Laternenlicht erlosch. Am Straßenrand standen Menschenscharen, die ihrerseits mit Laternen bestückt waren und Hauseingänge und Fenster stimmungsvoll mit Lichtern geschmückt hatten. Man winkte hierhin und dorthin. – „Ich will nach Hause“, wünscht der kleine Junge, der sich schon anfangs Sorgen gemacht hatte. „Mir ist kalt“, jammert er. „Aber du bist doch gut eingepackt!“. „Ich habe Hunger.“, äußert er dann. „Du bekommst gleich noch ein Weckbrötchen!“ Schließlich erreichen wir wieder den Schulhof. Jedes Kind darf sich ein Weckbrötchen nehmen. Mein kleiner Schützling scheint gar nicht so hungrig zu sein: „Ich glaube, ich hebe mir das für zu Hause auf!“. Und dann findet ihn sein Papa zum wunderbaren Happyend dieses abenteuerlichen Abends! Franziska Lachnit  

Zur Freude der Verwaltung…

Unsere Autorin Franziska Lachnit hat uns in den vergangenen Jahren an ihren spannenden, oft abenteuerlichen Weltreisen teilhaben lassen. Kleine Pause: Nun erkundet sie ihre Heimatstadt, gibt uns Tipps, stellt Locations vor und testet Restaurants, Biergärten oder Bistros. Aber nicht nur das, sie „wagt“ sich heute sogar in unser Rathaus hinein. Ihre neue Serie heißt: „Ich war hier…“Alle Folgen lesen Sie in der gedruckten HWZ, bei Facebook und zeitversetzt auf unserer Homepage. Viel Vergnügen dabei.

Ich war hier … im BÜRGERBÜRO. Zugegeben, ich hatte zunächst ein bisschen Muffensausen. Hatte ich doch so Schlimmes gehört: Man erreicht niemanden. Man kann nur auf den Anrufbeantworter sprechen. Aber wann rufen die denn zurück? Ich kann doch nicht den ganzen Tag am Telefon hocken! (Sorry, aber hast Du kein Handy? Anm. d. Autorin) Alles easy! Kann ich nur sagen: Montags rief ich am späteren Vormittag an, um einen Termin zu erfragen. Kaum eine Stunde später erreichte mich der Rückruf. Freundlich fragte man: „Können Sie vielleicht am Donnerstag um 8.15 Uhr?“ – „Oh 8.15 Uhr! So früh!“ DAS hätte ich normalerweise gedacht. – Diesmal war ich einfach happy, dass man mir so unkompliziert einen Termin anbietet. Beim Frisör oder Zahnarzt oder Handwerker ist es schwieriger, ein Date zu bekommen! Also pelle ich mich am Donnerstag rechtzeitig aus den Laken. (Ich verrate nicht, wann das genau war. Es war rechtzeitig!) Ich begebe mich bei herrlichstem Sommersonnenschein mit frischer Morgenbrise auf den Weg in die City. Dort ist leider zu dieser Stunde noch gar nichts los. Egal, denn ich habe ja in erster Linie nur einen Auftrag. Auf den Rathausplatz schlendernd, stülpe ich die FFP2-Maske über Nase und Mund. Ich drücke auf den Klingelknopf am BÜRGERBÜRO. Die Tür wird geöffnet. Ich fühle mich ein bisschen wie Ali Baba … Sorry, die Phantasie geht mit mir durch … Die Realität lässt mich eintreten, bittet aber, dass ich draußen warte, bis man mich hereinholt. Gut so, denn draußen scheint die Sonne! Ich warte keine fünf Minuten. Dann erscheint eine freundliche BÜRGERBÜRO-Mitarbeiterin und nimmt mich mit. Ruck-zuck; Zack-zack und mein Anliegen ist erledigt. Prima! Und jetzt? Es ist so früh, dass immer noch alle Geschäfte geschlossen sind. Schade. Also hole ich lediglich Brötchen bei Herrn Welsch und die Zeitung bei Herrn Eimermacher. Und begebe mich damit frohgemut nach Hause zum Frühstück. Franziska Lachnit 

„Tür auf und raus“

Spätfolgen 

Corona hatte mich nicht erwischt. Nicht das Virus. Dem Himmel oder wem auch immer zum Dank! Jetzt mit den ersten wiedererlangten Freiheiten spüre ich aber eine andere Infektion. Eine milde und wahrscheinlich harmlose Art der Soziophobie hat mich ergriffen. Endlich darf man sich wieder zahlreich treffen und die Kneipe ums Eck besuchen! Hurra! – so dachte ich, aber dann verspürte ich seltsame Lähmungserscheinungen. Der Finger wollte nicht so recht über die Handytastatur gleiten, um eingeschlafene Kontakte aufzuwecken. Der Terminkalender war eigentlich schon mit einem Besuch bei Papa und einem Spaziergang mit Freundin durchs Siebengebirge voll. Soll ich jetzt zusätzlich noch jemanden treffen, so bin ich bereits überfordert. Ich habe mich in diesen Lockdown-Zeiten dermaßen zurückgezogen, dass es mir inzwischen schwerfällt, mich aus meiner eigenen Falle zu befreien. „Zu Hause ist es doch auch schön!“ – ein zunächst lebensrettendes Argument, jetzt aber eine hinderliche Ausrede. Wenn meine Freunde und Mitmenschen ebenso geschädigt sind … wie sollen wir dann jemals wieder zueinanderfinden? Ich bemühe mich, sanft über diesen Schatten zu springen. Vor ein paar Wochen bin ich auf einem Abendspaziergang einfach mal bei Freunden vorbeigegangen, die ich tatsächlich vor ungefähr einem Jahr zum letzten Mal gesehen hatte. Mit weit geöffneten Armen wurde ich herzlich empfangen. Ach, war das schön! Spontaneität war seit langem verbannt. Jetzt darf sie wieder versucht werden! Muss genutzt werden, um aus dem Isolationskarussell herauszukommen. Und geht man dann den Schritt nach draußen, so fühlt man sich ein bisschen wie damals, als man Corona noch nicht kannte. Also: Tür auf und raus! Franziska Lachnit 

Wie in Quarantäne.

Ist Einsiedelei erstrebenswert? – Ein Erfahrungsbericht von Franziska Lachnit in vier Teilen.

Teil I

Nun bin ich da, wohin ich mich so oft sehne: auf „unserem Ferienhof“. Ich bin hier, um zu schreiben. Nur das erlaubt mir diesen Aufenthalt im Augenblick der dritten Corona-Welle. Ich befinde mich auf Dienstreise. Als freie Autorin muss ich Eindrücke und Erlebnisse sammeln, Nachforschungen betreiben … Ich bin jedenfalls nicht wie der berühmte Typ, der aus dem Gefängnis heraus bücherweise Geschichten über den Wilden Westen geschrieben hat, aber selbst niemals in der Neuen Welt war. Ich muss Atmosphäre erleben, Geschehnisse beobachten, Blütenblätter rieseln sehen und Vögel zwitschern hören, um darüber schreiben zu können.

Als ich gestern hier ankam und den sonst so lebendigen Ferienhof verlassen und still vorfand, überkamen mich Zweifel: Das könnte sich hier wie in Quarantäne anfühlen. Andererseits wünsche ich mir manchmal nichts inniger als Einsiedelei. Das Alleinsein erscheint mir dann als erstrebenswertes Ziel. Jetzt habe ich die Chance herauszufinden, ob das wirklich so ist! Denn hier bin ich für die nächsten neun Tage richtig allein. Bereits heute, erster Tag, nehme ich wahr, dass sich meine Selbstgesprächsrate deutlich erhöht hat. Ich plappere eh immer und viel für mein eigenes Ohr, aber seit ich gestern hier angekommen bin, erkläre ich mir selbst ständig, was ich tue und warum; wie ich etwas finde und warum. Ich brabbel einfach so vor mich hin. Sogar wenn ich mal nicht allein bin, z.B. im Supermarkt. Das sollte ich weiter beobachten!

In vielerlei Hinsicht bin ich sehr zufrieden: Das Wetter zeigt sich freundlicher als von der Vorhersage angedroht. Die Bäume sprießen in zärtlichem Grün. Löwenzahn sprenkelt die Wiesen gelb. Ringeltauben stapfen gesellig durchs frische Gras, und Meisen hüpfen waghalsig durchs Gebüsch. Das Hühnergehege wurde kürzlich verlegt, so dass mir das frühmorgendliche Kreischen des Hahns erspart bleibt. Adele, die Eselin gibt nur selten ihr herzzerreißendes Geschrei von sich. Dennoch fährt mir dann der Schrecken durch die Glieder, da ich jedes Mal einen Schlachter mit gezücktem Hackebeil assoziiere. Nein, nein! Friedlich ist es hier. Pferde grasen, Schweif schwingend, auf des Nachbars Weide. Die Kühe glotzen und käuen wieder. Und die Schafe blöken ihr forderndes „Hallo!“.

Meine Unterkunft ist das sogenannte „Naturhaus“, eine aus Strohballen, Lehm und Holz erbaute Hütte mit großer Panorama-Fensterfront. Dieses Ein-Raum-Appartement mit großem Etagenbett und kleiner Pantryküche sowie einem urigen Badezimmer ist für mich ein zweites Zuhause. Hier habe ich schon schneereiche Osterferien mit meinen Kindern verbracht und zahlreiche Schreib-Wochen zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Im Sommer sitze ich auf der Holzveranda im Schatten des Sonnenschirms, blicke über die Weiden und Felder des Nachbarhofs oder hoch in die Baumkronen mächtiger Eichen und kritzele Notizen in mein Arbeitsbuch. In Herbst und Frühjahr verkrieche ich mich in die Geborgenheit der Hütte. Dort ist dann der Miniaturesstisch mein Arbeitsplatz und die Gemütlichkeit des Bettes mein Ort zum Lesen. Wenn mir zu fortgeschrittener Stunde das Gemüt weder für das eine noch das andere steht, sitze ich einfach hier oder da und lausche den ruhigen Songs von Katie Melua.

Zweiter Tag, und ich bin schweigsam. Heute habe ich mir nichts zu sagen. Das Wetter hat sich verschlechtert. Immer wieder werden vom Sturm schwarze Regenwolken herangeblasen. Das Geäst der großen alten Eichen rauscht und knarzt bedrohlich. Endzeitstimmung. Die Tür meiner Hütte ist verriegelt. Ich habe bisher weder einen Fuß über die Schwelle gesetzt noch die Nase in den Wind gehalten.  Stattdessen überlege ich, ob ich mich wieder ins Bett verkriechen soll.

Dritter Tag. Das Wetter lässt vermuten, es wäre April oder schlimmer, z.B. Februar. Und dabei ist schon der Wonnemonat Mai angebrochen. Gestern Nachmittag brandete plötzlich ein kolossaler Sturm auf, der sich ein paar Minuten vorher mit einem unheimlichen Rauschen ankündigte. Der hätte auch in Island alle Ehre machen können. Heute musste ich nicht mit mir selbst als Gesprächspartner vorliebnehmen! Ich habe meine Gastgeber getroffen und einige Worte mit ihnen gewechselt. Und eben bin ich einer jungen Mutter mit ihren Kindern begegnet. Die Kleinen erinnern mich an unsere erste Zeit hier auf dem Hof: Meine Tochter voller Liebe und Fürsorge für die Tiere und mein Sohn mit Begeisterung für Traktor und Kettcar. Mehrmals am Tag sollte ich mit ihm auf dem Zweier-Kettcar Runden über das Hofgelände drehen. Er war noch zu klein, um selbst an die Pedale zu kommen. Also karrte ich den Sohnemann über Stock und Stein durch die Gegend. Wäre er jetzt hier, könnte der inzwischen junge Mann mich kutschieren! Wahrscheinlich wäre das eine deutlich rasantere Fahrt. Und mit Sicherheit ein äußerst amüsantes Erlebnis. FORTSETZUNG FOLGT. 

Franziska Lachnit

Wie in Quarantäne. 

Ist Einsiedelei erstrebenswert? – Ein Erfahrungsbericht. 

Teil II

Vierter Tag. Heute erhielt ich unerwarteten Besuch: Während ich noch im Bett lümmelte und mich von T. C. Boyles Erzählungen in den Bann hatte ziehen lassen, knallte etwas laut an die Fensterfront. Ein Vogel war dagegen geflogen. Ich befürchtete das Schlimmste, aber als ich nachsah, saß eine niedliche Blaumeise heftig atmend und von deutlich größerem Schrecken getroffen, als ich es war, auf der Terrasse. Ihre Flügel waren hilflos ausgebreitet, aber sie sah sonst intakt aus. Mehr als eine Stunde beobachtete ich das Vögelein. Und langsam berappelte es sich, legte die Flügel an, plusterte sich auf und schaute wachsam um sich. Irgendwann hüpfte die kleine Meise auf die Strebe des Terrassenstuhls, um sich dort weiter zu regenerieren. Dann flatterte sie plötzlich in den Apfelbaum, der über die Veranda ragt. Dort war sie wunderbar getarnt und konnte bis zur vollständigen Erholung von Ast zu Ast hüpfen. Später am Tag unternahm ich einen kleinen Inspektionsgang über die Hofanlage: Kaninchen und Schafe mit Löwenzahn füttern, Kühe und Ponys besuchen, schauen, was sich in den letzten Monaten verändert hat … Als ich dann wieder in meiner Hütte ankam, hatte ich weiteren Überraschungsbesuch: Ein paar Ameisen tummelten sich eifrig in der Spüle und machten Anstalten, die Küche zu erobern. Verdammt! Wo kommen sie her? Was hat sie angelockt? Inzwischen habe ich die Spüle verstöpselt und am Boden Salz entlang der Küchenzeile gestreut. Im Augenblick sieht’s so aus, als würde das helfen, die unerwünschten Gäste fernzuhalten. Das Wetter war heute milde und freundlich gestimmt – mit der Folge, dass ich ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, keinen großen Spaziergang unternommen zu haben. Ich hatte einfach keine Lust!

Fünfter Tag. Die Ameisen beehren mich immer noch, aber zum Glück in überschaubarer Menge. Und solange sie meine Vorräte nicht bedrohen oder auf die Idee kommen, mich nachts als Aas zu betrachten und über mich herzufallen, können sie von mir aus ein bisschen hier rumkrabbeln. Wieder plagt mich das schlechte Gewissen. Das Wetter hat sich im Laufe des Tages wunderschön gewandelt, aber dennoch hocke ich in der Hütte und kann mich nicht von meiner Lektüre losreißen. Während heute Vormittag noch seltsame Wolkengestalten den Himmel verdunkelten, glitzert nun das Sonnenlicht auf Efeublättern. Jetzt erscheint die Welt bunt und herrlich. Ein Chor verliebter Vögel gibt dazu den passenden Soundtrack. Hoffentlich wird es morgen auch so sonnig und wonnig!

Sechster Tag. Freund Michael hat mich besucht. Vor vielen Jahren haben wir uns hier auf dem Hof kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich meine Einsiedelei vollziehe, besucht er mich für einen Tag. Das gehört zur vertrauten Beständigkeit eines Hofaufenthaltes. Micha kreuzte kurz nach 10 Uhr mit Brötchen und selbstgemachter Marmelade vor meiner Hüttentür auf. Ich hatte schon am Vorabend den Frühstückstisch gedeckt, holte nun nur noch Butter und Grapefruitsaft aus dem Kühlschrank und setzte Wasser für den Instantkaffee auf. Instantkaffee schmeckt nach Camping in der Wildnis und gehört für mich zu meinem Eremitendasein im Naturhaus dazu wie Bücher, Stifte und Papier. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zu einer Wanderung durch den Wald. Während am frühen Morgen noch die Sonne göttlich die Welt beglückte, hatte sich inzwischen der Himmel wieder von Wolken bedecken lassen. Für den späteren Nachmittag war Regen angesagt. Ein Waldfriedhof, der auf unserer Strecke lag, war gruselig, denn die meisten Grabstellen stammten aus einer Zeit, die weit zurückliegt. Die Grabsteine sind zu Unleserlichkeit verwittert und abgesackt in die einst ausgehobene Kuhle. Mitternachts würde ich nicht hier sein wollen; dann ginge meine Fantasie mit mir durch: Geister und Vampire würden erscheinen, um mir Angst und Schrecken einzujagen. Die perfekte Kulisse für solche Hirngespinste. Wir stapften weiter durch den Wald. Das für die Route versprochene Labyrinth mitten im Dickicht war eher lächerlich als aufregend. Ich vermute, ein Landschaftsgärtner hatte die pfiffige Idee, mit der Pflanzung der labyrinthisch angeordneten Hecken seine Azubis üben zu lassen. Als wir die Runde mit einem Gang um das Stift Börstel beenden, stellen wir traurig fest, dass der Zugang zum Gelände und zum Kreuzgang für Besucher gesperrt ist. Corona lässt mal wieder grüßen. Mittlerweile hatte bereits ein leichtes Regentröpfeln eingesetzt. Wir begaben uns zurück zum Hof. Dort noch eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen, dann verabschiedete sich Michael. Spätestens nächstes Jahr sehen wir uns wieder – hier auf dem Ferienhof. Sein Besuch gehört genauso dazu wie der Instantkaffee, die Bücher, Papier & Stift.

Aus ein paar Regentropfen ist nun ein platschender Dauerregen geworden. Ich sitze in meiner Hütte in die isländische Wolljacke gepackt und kann mir noch nicht vorstellen, dass morgen das Thermometer auf 26°C klettern soll … FORTSETZUNG FOLGT Franziska Lachnit

Wie in Quarantäne. 

Ist Einsiedelei erstrebenswert? – Ein Erfahrungsbericht. 

Teil III

Siebter Tag. Sonntag. Das Thermometer steigt auf 27°C. Schon in der Nacht machte sich der Wetterumschwung bemerkbar. Die Luft wurde immer stickiger und war so trocken, dass mir das Atmen schwerfiel. Irgendwann um halb vier herum wachte ich auf und quälte mich ein paar Stunden schlaflos im Bett. Ich horchte auf jedes Geräusch, hatte wirre Gedanken, eine Nase so ausgetrocknet wie das australische Outback und mein Kopf fühlte sich an, als würde darin ein Luftballon aufgeblasen. Langsam kam die morgendliche Dämmerung. Der Horizont über den Baumwipfeln verwandelte sich von Dunkelgrau zu Hellgrau, dann zu einem zarten Blassblau. Die Sonne ging auf, und ich bedeckte meine Augen mit einem Handtuch, denn ich hatte meine Einschlafversuche noch nicht aufgegeben. Tatsächlich nickte ich nochmal ein. Das bescherte mir unruhige Träume, aus deren Klauen ich mich schließlich gegen neun Uhr befreien konnte. Gerädert schälte ich mich aus der Bettdecke und bereitete mir den obligatorischen Instantkaffee. Kräftige Sonnenstrahlen leuchteten über die Landschaft und knallten durch die Panoramafenster. Noch wehte ein morgendlich frisches Lüftchen, das die Situation angenehm machte. Ich rappelte mich zu einem Spaziergang auf. Gute Entscheidung! Mir eröffnete sich eine wunderbar friedliche Welt. Begleitet von fröhlichem Vogelgezwitscher stapfte ich über die Feldwege. In der Ferne lagen die Kühe müde auf ihrer Weide und strahlten sogar über die Entfernung Ruhe und Zufriedenheit aus. Keine Menschenseele kreuzte meinen Weg und mein Alleinsein. Die Welt bestand aus saftigen Weiden, bunten Blüten, alten Bäumen und sich im Wind wiegenden Gräsern. Und mir. Das war meine ersehnte Einsiedelei. Zurück in meiner Hütte, war es bereits zu heiß im prallen Sonnenschein, um ohne Schatten draußen sitzen zu können. Schatten hatte ich auf der Veranda keinen, also verkroch ich mich in meinen vier Wänden. Mit zwei geöffneten Fenstern versuchte ich Durchzug und Frischluft zu erzeugen. Anfangs klappte das und später gar nicht mehr. Temperaturen schweißtreibend wie im Hochsommer. Eine Luft, die den Atem stocken lässt. Ich hockte also in meiner Hütte und hörte gerade eine WhatsApp-Nachricht von meinem Sohn ab, als ich äußerst unerwünschten Besuch bekam: Alfred radelt heran. (Alfred heißt gar nicht Alfred, aber aus fehlender Kenntnis seines echten Namens wurde er von uns irgendwann so getauft. Alfred ist taubstumm. Er radelt täglich über den Hof und versucht Kontakt zu machen. Leider kapiert nie jemand, was er will.) Alfred nähert sich also meiner Hütte, sieht hinein, erspäht mich offenbar, hält an und stellt sein Rad ab. Ich denke: „Das ist nicht wahr. Er wird doch nicht hereinkommen. Das darf er nicht.“ Aber er tut es. Er steigt die Stufen zur Veranda herauf, macht noch nicht mal Anstalten anzuklopfen und tritt einfach in meine allerheilige Einsiedelei. Ich versuche, ihm mit Gesten und Kopfschütteln klar zu machen, dass das nicht Ordnung ist. Und dass ich nicht das habe, was er von mir will (was immer das sein mag, wahrscheinlich eine Zigarette). Er schaut sich prüfend in meiner Hütte um (, ob ich nicht doch irgendwo das habe, was er sucht) und zieht endlich von dannen. Ich bin perplex. Ich hätte ihm ja gerne weitergeholfen, aber er kann nicht einfach so hier hereinschneien. Das tun nicht mal die besten Freunde. Jetzt schließe ich die Tür ab – auch wenn ich da bin. Nie habe ich zuvor hier auf dem Hof irgendeine Tür, außer während der Nacht, verriegelt. Aber diese seltsamen Zeiten der Unterbringungsverbote, in denen man an manchen Tagen niemanden zu Gesicht bekommt, rufen Unsicherheit und Skepsis hervor. Kann ich mein Hab und Gut einfach unverschlossen und abseits jeder Aufmerksamkeit allein lassen? Mir gefällt nicht, was sich da bei mir innerlich bewegt. Beängstigend auch die Hilflosigkeit, wenn man nicht mit der gesprochen Sprache kommunizieren kann.

Das hatte ich schon mal erlebt, als ich mit einem Freund im Zug auf der Reise von Jugoslawien nach Hause unterwegs war. Wir befanden uns noch in Jugoslawien, als in unser Abteil, in dem wir bislang alleine gesessen hatten, ein junger Mann zustieg. Mein Kumpel machte gerade ein Nickerchen. Der junge Mann quatschte mich auf Serbokroatisch an. Ich verstand natürlich kein Wort. Er gebärdete sich energisch und fordernd. Ich fühlte mich so hilflos. Nicht weil ich grundsätzlich Angst vor ihm hatte, sondern weil ich nicht mit ihm kommunizieren konnte.

Heute ist ein sonderbarer Tag. Diese plötzliche Wärme und Schwüle. Die Stille eines Sonntags. Und zum ersten Mal fehlen mir die üblichen Tätigkeiten eines Alltags, die ganz unmerklich die Zeit füllen und man abends Ergebnisse vorweisen kann. Heute war ich gelähmt. Die Nacht hatte mir zugesetzt. Der Tag war mir zu heiß. Und dass ich dann noch erfahren musste, dass ich hier nicht so abgeschottet bin, wie ich es sein möchte, hat mich ein bisschen desillusioniert. Jetzt schleppe ich mich tatenlos durch den Abend. Lesen, schreiben, aus dem Fenster glotzen – das habe ich heute zu Genüge getan. Nach einer Woche beinahe wie in Quarantäne wünsche ich mich zum ersten Mal nach Hause. Das ist gut so! FORTSETZUNG FOLGT  Franziska Lachnit

Wie in Quarantäne. 

Ist Einsiedelei erstrebenswert? – Ein Erfahrungsbericht. 

Teil IV

Achter und vorletzter Tag. Ich bilde mir ein, dass die Weideflächen immer gelber von Löwenzahnblüten werden. Oder ist es tatsächlich so? Wunderschön sieht es jedenfalls aus. Und auch heute bekomme ich neuen Besuch: Wespen und die erste Fliege, die allesamt clever genug sind, sich durchs Mückennetz am Fenster zu quetschen, aber zu doof sind, wieder herauszufinden. Gerade habe ich die dritte Wespe in einem Glas gefangen, um sie in die Freiheit zu befördern. Im Sommer sind Wespen, Mücken und Fliegen tatsächlich eine Herausforderung. Während aber die Wespen allenfalls nervig an der Fensterscheibe surren, piksen dich die Mücken hinterhältig des nachts, und am nächsten Morgen „erfreust“ du dich am Jucken und Aufquellen deiner Haut. Aber die Fliegen, die sind eine wahre Plage! Zwar schlafen sie, so lange es dunkel ist, doch zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang piesacken sie dich ununterbrochen. Wenn die Vögel in Herrgottsfrühe ihren Gesang anstimmen, wachen die Fliegen auf und surren um deine Nase. Du möchtest weiterschlafen. Du ziehst dir die Bettdecke über die Nase, aber das nervtötende Surren bleibt. Sie hocken sich auf deinen Kopf oder krabbeln über deinen Fuß, der leichtfertig unter der Bettdecke hervorlugt. Dir ist heiß. Du willst eigentlich die Decke von dir werfen, aber dann gibst du dich dem permanenten Kitzeln und Surren der Fliegen preis. Irgendwann stehst du kapitulierend auf, kochst dir deinen Instantkaffee und hockst dich gähnend hin, um ebenfalls den Tag zu beginnen. Und was passiert? Eine aufdringliche Fliege ertränkt sich in deinem Kaffee. Na, toll! – So ist es im Sommer. Da kann ich mich also jetzt glücklich schätzen! Und das tue ich. Gestern sah ich von meinem Schreibplatz aus ein einheimisches Eichhörnchen, das hastig an einem Baum emporkletterte und geschickt von Ast zu Ast auf den nächsten Baum sprang. Und vorhin entdeckte ich endlich eine Katze. Sie saß auf dem Weg, der an meiner Hütte vorbeiführt. Sie saß da, als würde sie warten. Ich wollte sie anlocken. Sie schaute zwar interessiert, blieb aber wartend sitzen. Dann kam eine Frau des Weges. Mit ihr lief die Katze mit. Die beiden waren also auf einem Spaziergang. Wer denkt, dass man mit Katzen nicht spazieren gehen kann, dem kann ich aus eigener Erfahrung eine gegenteilige Geschichte erzählen: Wir hatten selbst mal eine kleine Katze, die mit uns spazieren ging. Sie stammte aus den Straßen Italiens und war derzeit schon Oma oder gar Uroma, wer weiß! Die begleitete uns regelmäßig auf unseren Waldspaziergängen. Manches Mal haben wir sie erst im Wald getroffen, dann schloss sie sich uns an, lief neben uns, dann ein paar Meter voraus, wartete auf uns und lief wieder an unserer Seite. So muss wohl auch die Katze sein, die ich eben gesehen habe. Betörend war heute der landwirtschaftliche Duft. Vom Feinsten auserlesen, wehte der durchs offene Fenster: Schweinegülle. Alles andere als erfrischend, aber normal, wenn man sich aufs Land begibt. Der besondere Geruch sammelte sich im Raum. Ich überlegte, was ich tun könnte, um die Beeinträchtigung zu schmählern. Ich machte Durchzug. Dann kann der Gestank durchziehen, so dachte ich. Funktionierte ein bisschen. Wer den Geruch von Schweinescheiße kennt, weiß um mein Problem. Ich werde wahrscheinlich wie ein Schwein stinkend nach Hause kommen. Ist halt normal, wenn man sich aufs Land begibt!

Neunter und letzter Tag als Eremit. Nach einer Nacht tiefen Schlafs ernenne ich diesen Tag zum Gammeltag. Lesen im Bett solange ich möchte. Dazu die übliche Tasse Instantkaffee und das, was vom Kuchen übriggeblieben ist. Das Wetter lädt sowieso nicht dazu ein, Wald und Wiesen zu erkunden. Einziger Plan: Den Kaninchen die letzten Möhrchen verfüttern. Und mein Hab und Gut zusammenpacken, damit ich am nächsten Tag früh von dannen komme. Die restliche Zeit, und das ist eine ganze Menge, widme ich John Steinbeck. „Früchte des Zorns“ hält mich fest im Bann. Ich fühle mich bereits als Teil der Geschichte und verschlinge Kapitel für Kapitel diesen Roman. Bis zum Ende schaffe ich es dennoch nicht, denn die Augen werden trocken und müde. Ich begebe mich früh zur Nachtruhe und habe bereits mit meinem Dasein als Einsiedler abgeschlossen – vorläufig. Morgen geht’s zurück ins Städtchen, zu den Menschen, die ich kenne, zurück zur Familie, die ich liebe. Und das ist gut so! Ich bin gerne allein. Es ist aber auch schön, mit anderen zusammen zu sein. ENDE.  Franziska Lachnit

(Alle Beiträge der Bad Honnefer Autorin Franziska Lachnit lesen Sie wöchentlich in der gedruckten Ausgabe der HWZ. In ihrer nächsten Serie geht es, ganz ohne Fernweh, schlicht aber spannend um Bad Honnnef.)

Kakerlaken in New York

Rund um die Welt mit Franziska Lachnit

In einem alten New York-Reiseführer aus den 70er Jahren hatte ich einen Erlebnisbericht über die Allgegenwart von Kakerlaken in New Yorker Wohnungen gelesen. Demnach krabbeln sie einem nicht nur aus der Dusche oder dem Bett entgegen, sondern besiedeln sogar das Tiefkühlfach des Kühlschranks. 1992 reisten wir von Boston aus für ein Wochenende nach New York. New York! Ein kühner Traum meiner Kindheitstage. Eine Reise dorthin war damals ein erstrebenswertes Ziel. Atemberaubende Wolkenkratzer, multikultureller Schmelztiegel, Avantgarde und Historie – New York musste einzigartig und bewundernswert sein. Inzwischen schreckte mich aber der molochhafte Charakter ab. Ich fürchtete mich vor dieser gigantischen Metropole und stand unserem Ausflug dorthin skeptisch gegenüber. Unser Hotel lag nahe dem Empire State Building. Wenn wir sehr schräg aus dem fest verriegelten Fenster schauten, konnten wir das ruhmreiche Gebäude in den Himmel ragen sehen. Das war das Beste an diesem Hotel. In Erinnerung an den Artikel des alten Reiseführers wurde mir mulmig. Genau hier mussten Heerscharen von Kakerlaken hausen. Mit Sicherheit tummelten sie sich unter dem schmuddeligen Bettzeug. Zaghaft lupfte ich die Decke, um sehr vorsichtig darunter zu kriechen. Voller Anspannung verbrachte ich diese Nacht. Eine Kakerlake belästigte mich allerdings nicht. Am nächsten Morgen schauderte mir vor dem Duschgang. Ein ranziger Vorhang faltete sich entlang der schmierigen Badewannenwand. Aber auch hier krabbelte keines dieser braun glänzenden Tierchen. Ich war schon beinahe ein wenig enttäuscht darüber, dass mir im, angeblich Kakerlaken verseuchten, New York noch keine Schabe begegnet war. Dann begaben wir uns auf eine Tageswanderung durch Manhatten. Diese vielbesungene und meist schillernd dargestellte City erschien mir lediglich als stinkend und abbruchreif. Ich hatte den Eindruck, dass die einstige Weltwunderarchitektur nur noch von Reklameplakaten zusammengehalten wurde. Als wir schließlich abends im orange-gelben Schein der Straßenlaternen auf dem Rückweg zum verlotterten Hotel waren, traf ich endlich eine Kakerlake: Klein, ganz allein und eigentlich niedlich krabbelte sie mitten auf der Straße. Franziska Lachnit 

Sturmzeit in Island

Wir kommen derzeit nicht wirklich vor die Tür. Ein kleiner Trost an dieser Stelle: Die Erlebnisberichte von Franziska Lachnit über ihre Reisen rund um den Globus. Viel Spass dabei.

Über die Weihnachtsfeiertage schneite es, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Wir saßen am Fenster eines urgemütlichen und wohlig warmen Häuschens im Westen Islands. Wir waren hier, weil der Wunsch nach Polarlichtern größer war als die Sehnsucht nach Sonnenschein. Island hatte uns mit heftigem Wind sowie einem Wechselspiel aus dichtem Schneegestöber und tiefliegenden, blendenden Sonnenstrahlen empfangen. Eine Kurzfassung dessen, was uns in den nächsten Tagen bevorstand. Am Anfang war der Schnee. In Wehen türmte er sich vor uns auf und überdeckte ganz und gar die Landschaft, die uns umgab. Man fühlte sich wie unter einer dicken Daunendecke eingebettet. Dann kam der Sturm und mit ihm der Regen. Beides fegte die gesamte weiße Pracht innerhalb einer Nacht hinweg. Während dieser Nacht zerrte der Sturm am Haus, als wollte er es dem Boden entreißen, mitnehmen und über den Atlantik blasen. Das Haus hält stand. Am Tag nutzen wir die Gelegenheit der schneefreien Straßen für einen Ausflug: Zum Thingvellier – dem Graben, wo nordamerikanische und eurasische Kontinentalplatte auseinanderdriften. Ein heidnisch heiliger Ort. Hier hebe ich ab: Eine Sturmbö erwischt mich und verfrachtet mich einen halben Meter durch die Luft. Huiii! Dann halten mich ein Geländer und mein Mann von einem längeren Flug ab. Regentropfen wie Nageleinschläge hämmern uns ins Gesicht. Triefend, zum Auswringen nass erreichen wir unseren Jeep. Genug Sightseeing für heute! Ab ins warme Häuschen! Als wir – vom Sturm immer wieder hin und her gepeitscht – endlich in den Weg zum Haus einbiegen, wirbelt eine Schubkarre neben uns her. Sie hebt ab und sinkt zu Boden – hoch und nieder im Gleichklang mit den heftigen Wellen des Sturms. Unberechenbar. Dennoch schnurgerade auf ein parkendes Auto zu. Und dahin, wo wir hin wollen. Plötzlich sprintet der Mensch, der für das parkende Fahrzeug verantwortlich ist, in einer der kurzen Sturmpausen heldenmütig aus dem Haus, um die Salto schlagende Schubkarre mit dem Gewicht großer Steine lahmzulegen. Das gelingt! Und ein Gewicht großer Steine fällt uns vom Herzen, als wir schließlich unbeschadet die heimelige Behausung erreichen. Franziska Lachnit 

Corona-Tagebuch – Lockdown II, Woche V

Diese Woche gestaltete sich unspektakulär. Alltagskram, der leider nicht „Corona bedingt“ verschoben oder abgesagt werden konnte und unbedingt erledigt sein wollte. Aber eine kleine Anekdote habe ich dennoch erlebt: Schlange stehen in der Fußgängerzone. Ich schaue gelangweilt die Gasse rauf und runter. Und ab und zu versuche ich, die verbleibende Wartezeit durch einen Blick in den Laden abzuschätzen. Hände und Füße beginnen zu frösteln. Ich trete also hibbelig von einem Fuß auf den anderen und stopfe die Hände tief in die Jackentaschen. Mein Blick fällt auf einen älteren Herrn, der sich von links nähert. Etwas an ihm stimmt nicht. Eine ältere Dame, fein gekleidet in einen leopardenfellartigen Mantel, schiebt ihren Rollator vor sich her und steuert dem Mann entgegen. Beide setzen zu einem Gruß an. „Leck mich am Arsch!“, ruft der Herr. „Wer soll DAS denn tun?“, erwidert die Dame freundlich. Er macht prompt kehrt, und geht neben ihr in die Richtung, aus der er gekommen ist. „Ach, das war’s!“ Ich klatsche mir innerlich mit der Hand an die Stirn: „Er hat seine Maske vergessen.“ Einige Minuten später kehrt er zurück. Jetzt stimmt alles mit ihm! Soweit ich das sehen kann. Im nächsten Augenblick ist endlich meine Wartezeit vor dem Laden beendet. Fazit: Halte Abstand UND Augen und Ohren offen! Es lohnt sich. Ein paar Tage später steht der 1. Advent vor der Tür. Drei weitere werden folgen. „Was machen wir bloß?“, grüble ich verzweifelt. Aber vorweihnachtliche Stimmung hat mich gepackt und so entwickele ich einen Plan: Wir sind vier Familienmitglieder. Passt! Also darf sich jeder einen Adventssonntag schnappen und für die Familie gestalten. Die Idee wird dankbar angenommen. Zu allererst backen wir Plätzchen. Eine Riesenaktion! Mit großem Genuss! Für Advent Nr. 2 wurde eine längst fällige Kaffee- (sprich Glühwein!) Einladung ausgesprochen. Es läuft! Franziska Lachnit (Dezember 2020)

Corona Tagebuch – Lockdown II, Woche IV

Beinahe jeden Tag spaziere ich ins Städtchen. Es tut gut, hinauszugehen, die kühle Luft zu atmen, den Blick nach links und rechts zu wenden und sich strammen Schrittes irgendwelchen Zielen zu nähern. Meine Ziele sind in der Regel Buchhandlung, Genießerpfade, gelegentlich Post und Apotheke. Und oft Kodi. Dort gibt’s fast alles, was das Alltagsherz begehrt! Jetzt in der Vorweihnachtszeit finde ich hier endlosen Kerzennachschub. Sehr wichtig für die häusliche Gemütlichkeit! Doch vor ein paar Tagen passierte das, was irgendwann passieren musste: Alle Kunden schlängeln sich gemäß der Markierungen in gebührendem Abstand vor der Kasse. Ich habe soeben bezahlt und packe meine Beute ein, da steht – quasi wie herbeigezaubert – K. direkt neben mir. Jeder hätte ihn sogar mit Maske erkannt, aber diese trug er nicht. „Habe ich vergessen“, gibt er verschämt zu, als die Kassiererin ihn fragt. Niemand wird K. gegenüber unwirsch oder gar böse. „Dann ziehen Sie bitte ihren Pullover über Mund und Nase!“, fordert ihn die freundliche Angestellte auf. Ich finde, das ist ein netter Zug von ihr! Selbst ergreife ich schnellstmöglich die Flucht. „Zum Glück hat K. mich nicht erkannt!“, denke ich spontan. Andernfalls wäre er mir noch mehr auf die Pelle gerückt. Das mag ich eh nicht, lasse es aber hin und wieder geschehen. Nur bitte nicht jetzt! – Ein paar Tage später: Termin der Tochter beim Arzt in Bonn-Poppelsdorf. Als Begleitperson soll ich draußen auf dem Freiluftgang warten. OK. Es stellt sich heraus, dass dieser Warteplatz nicht der schlechteste ist: Direkt gegenüber spielt ein Mann am offenen Fenster Gitarre. Die Klänge entführen mich in mediterrane Gefilde. Sanft und dennoch lebhaft. Ich lasse mich darauf ein. Ich schaffe es, das herbstliche Bild, das sich vor meinen Augen darbietet mit romantischer Urlaubsstimmung zu verkoppeln. Ein wohltuender, kleiner Ausflug. Franziska Lachnit (November 2020)

Corona-Tagebuch – Lockdown II, Woche III

Ich bin übellaunig an diesem nebeligen Herbstmorgen. Weder die ersehnte Tasse Tee noch ein paar Schlucke Kaffee helfen mir aus diesem Tief. Erst als sich die Sonne einen Weg durch die Wolkenschwaden bahnt, lebe ich gemächlich auf. Es gibt einiges in der Stadt zu erledigen. Also mache ich mich auf den Weg. Trostlos gähnt mir dort eine leere Fußgängerzone entgegen. Die Passanten kann ich an einer Hand abzählen. Am unteren Marktplatz sind es immerhin neun Personen, die mir begegnen. Ein trauriges Bild. Um mich selbst nicht wieder dieser Stimmung hinzugeben, gehe ich in die Offensive und betrete kurzentschlossen eine Boutique. Eine kühne Handlung für mich! Bin ich doch eher ein Liebhaber von Buchläden und Baumärkten. Zugegeben: Shoppen mit Maske ist nicht gerade sexy. Und wenn man auch noch die Leserille aufsetzen muss, um die Preisetiketten entziffern zu können, gestaltet sich das vermeintliche Vergnügen zu einer lästigen Angelegenheit. Aber dann komme ich in einen außergewöhnlich komfortablen Genuss: Als einziger Kundin in diesem Moment gebührt mir die volle Aufmerksamkeit der Verkäuferin. Nett ist es auch in anderen Geschäften, denn jeder hat Zeit, und so verstrickt man sich in den einen oder anderen Plausch. Schließlich kehre ich mit leichtem Herzen und schwerer Einkaufstasche zurück nach Hause. Unterwegs treffe ich den Herrn Nachbarn. „Lange nicht gesehen!“, begrüßt er mich freundlich. „Jaja. So ist das in diesen Zeiten …“, beginne ich zu schwadronieren. Wir palavern über dies und das, während er eigentlich das Auto holen wollte … Schließlich tritt seine Frau aus der Tür: „Wo ist deine Maske?“, fragt sie streng. „Die habe ich vergessen!“, gibt er zu. „Och, Heinz! Du gehst mir langsam auf den Keks! Immer vergisst du deine Maske!“. Schnell verabschiede ich mich, zücke selbst wieder meine Maske und verstecke ein breites Grinsen dahinter. Franziska Lachnit (November 2020)