Kakerlaken in New York

Rund um die Welt mit Franziska Lachnit

In einem alten New York-Reiseführer aus den 70er Jahren hatte ich einen Erlebnisbericht über die Allgegenwart von Kakerlaken in New Yorker Wohnungen gelesen. Demnach krabbeln sie einem nicht nur aus der Dusche oder dem Bett entgegen, sondern besiedeln sogar das Tiefkühlfach des Kühlschranks. 1992 reisten wir von Boston aus für ein Wochenende nach New York. New York! Ein kühner Traum meiner Kindheitstage. Eine Reise dorthin war damals ein erstrebenswertes Ziel. Atemberaubende Wolkenkratzer, multikultureller Schmelztiegel, Avantgarde und Historie – New York musste einzigartig und bewundernswert sein. Inzwischen schreckte mich aber der molochhafte Charakter ab. Ich fürchtete mich vor dieser gigantischen Metropole und stand unserem Ausflug dorthin skeptisch gegenüber. Unser Hotel lag nahe dem Empire State Building. Wenn wir sehr schräg aus dem fest verriegelten Fenster schauten, konnten wir das ruhmreiche Gebäude in den Himmel ragen sehen. Das war das Beste an diesem Hotel. In Erinnerung an den Artikel des alten Reiseführers wurde mir mulmig. Genau hier mussten Heerscharen von Kakerlaken hausen. Mit Sicherheit tummelten sie sich unter dem schmuddeligen Bettzeug. Zaghaft lupfte ich die Decke, um sehr vorsichtig darunter zu kriechen. Voller Anspannung verbrachte ich diese Nacht. Eine Kakerlake belästigte mich allerdings nicht. Am nächsten Morgen schauderte mir vor dem Duschgang. Ein ranziger Vorhang faltete sich entlang der schmierigen Badewannenwand. Aber auch hier krabbelte keines dieser braun glänzenden Tierchen. Ich war schon beinahe ein wenig enttäuscht darüber, dass mir im, angeblich Kakerlaken verseuchten, New York noch keine Schabe begegnet war. Dann begaben wir uns auf eine Tageswanderung durch Manhatten. Diese vielbesungene und meist schillernd dargestellte City erschien mir lediglich als stinkend und abbruchreif. Ich hatte den Eindruck, dass die einstige Weltwunderarchitektur nur noch von Reklameplakaten zusammengehalten wurde. Als wir schließlich abends im orange-gelben Schein der Straßenlaternen auf dem Rückweg zum verlotterten Hotel waren, traf ich endlich eine Kakerlake: Klein, ganz allein und eigentlich niedlich krabbelte sie mitten auf der Straße. Franziska Lachnit