WANDERGESELLEN: Stippvisite in Bad Honnef

„Kulturerbe auf zwei Beinen“

Dienstag, 21 Uhr, sechs Wandergesellen und zwei Wandergesellinnen stehen in der Nähe des Rathauses. Sie suchen eine Bleibe für die Nacht. Sie sind von Hennef nach Bad Honnef getippelt. Morgen wollen sie nach Koblenz. Gesellen auf der Walz. Ein schier uralter Brauch, der auch heute noch jährlich 500 junge Menschen allein in Deutschland auf die Straßen zieht, um die Welt kennen zu lernen, die Sitten und Gebräuche anderer Länder zu erfahren. Und, um eben auch außerhalb der Heimat zu arbeiten. Grenzenlose Freiheit. Eine Gesellin, Aleta, sagt: „Ich möchte und werde die Welt kennen lernen“. Drei Jahre und einen Tag hat sie dafür Zeit. So lange dauert die Walz. Wer darf auf die Walz? 

„Nur wer einen Gesellenbrief hat, unter 30 Jahre alt, ledig und kinderlos ist. Außerdem muss das Führungszeugnis sauber sein. Wer dann auf die Walz geht, hat nicht nur das Gesetz zu achten, sondern auch den Ehrenkodex seiner Gesellschaft. Bevor wir losziehen, bekommen wir einen Ohrring, das Ohrloch wird mit Hammer und Nagel reingeklopft. Das Ohrläppchen wird auf einen Tisch gelegt, zwei Schläge, mit Schnaps wird sterilisiert, auch innerlich, ich habe das kaum gespürt. Wenn ein Wandergeselle den Kodex grob verletzt, indem er etwa einen Gastgeber bestiehlt, wird der Ring aus dem Ohr gerissen, um seine Schande sichtbar zu machen. Daher kommt der Begriff Schlitzohr“.

In Bad Honnef hatten die Gesellen Glück. Sie trafen Christian Adams, der nicht nur ein großes Herz hat, sondern auch ein großes Wohnzimmer. Dort konnten die Reisenden, der Volksmund nennt sie auch „Tippelbrüder“, übernachten. Und erzählen. Sie alle trennen sich für drei Jahre von ihren Familien,Freunden und Gewohnheiten. Auf der Walz gilt beispielsweise striktes Handy-Verbot. „Nach ein paar Tagen fehlt uns das nicht mehr. Wir lernen täglich neue, interessante Menschen kennen, wir sammeln täglich neue Erfahrungen. Das macht auch süchtig“. Ihre ungewöhnliche Kluft mit Hut, Weste, Schlaghose und Wanderstock macht sie interessant. Das schafft Selbstbewusstsein und diszipliniert. Wandergesellen sind seit dem 15ten Jahrhundert unterwegs. „Wir sind ein Kulturerbe auf zwei Beinen“, strahlt Aleta. Die meisten der 500 Wandergesellen in diesem Jahr seien Zimmerer, Tischler, Dachdecker oder Maurer.

Sie tippeln oder trampen durch die Welt. Sie übernachten im Freien, in Kneipen, in Kirchen oder in Hostels. Oder privat, wie in Bad Honnef. Wenn das Geld knapp wird, dann suchen sie sich Arbeit. „Baustellen gibt es auf der ganzen Welt“. Für Schlafen und Reisen darf kein Geld ausgegeben werden. Ehrensache. Im Gepäck haben die Gesellen drei Unterhosen, drei Socken und drei Hemden. Und ein Wanderbuch. Dieses Büchlein ist ein wohlgehüteter Schatz. Es enthält unzählige Fotos, handschriftliche Einträge und Stempel von den besuchten Städten.

Für den Stadtstempel hier sorgte Bürgermeister Otto Neuhoff höchstpersönlich. „Das ist eine große Ehre für uns“, bedankten sich die Wandergesellen. Vom Rathaus aus zogen sie weiter an den Rhein Richtung Süden. Abschiedsschmerz? „Nö, schön ist es auf der ganzen Welt“. Ihre Ziele sind unterschiedlich: Schweden, Australien, Asien, Kuba. Baustellen gibt es eben überall. bö